Kommentar Dschihadisten und Kurden: Waffen für Kurdistan!

Es ist moralisch und politisch notwendig, den Kurden und Jesiden im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ zu helfen. Doch sie stehen allein.

Auf sich gestellt: Kämpfer und Kämpferin der syrisch-kurdischen Miliz PYD am Mittwoch in der Grenzregion zum Irak. Bild: reuters

Neun Erklärungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier finden sich auf der Webseite des Auswärtigen Amtes aus den vergangenen sechs Wochen zu Gaza und Israel. Eine Erklärung zum Vormarsch der Miliz „Islamischer Staat“ (vormals Isis) im Nord-Irak, zu ihren Gräueltaten gegen Christen, Jesiden, Schiiten, Alawiten und säkulare Sunniten, zu den Flüchtlingen im Sindschar-Gebirge hingegen findet sich in diesem Zeitraum nichts. Keine einzige Erklärung des Ministers.

Das heißt jedoch nicht, dass man im Auswärtigen Amt gar keine Meinung hätte. Eine Aufrüstung der kurdischen Truppen wäre falsch, sagte kürzlich eine Sprecherin auf Nachfrage eines Journalisten. „Isis wird geschwächt, wenn man es schafft, dass die Sunniten, die Isis unterstützen, Isis nicht mehr diese Rückendeckung geben.“

Klar. Man kann es sich gut vorstellen, wie bereitwillig sich diese Leute an den Runden Tisch setzen, und auf Wunsch schickt die Bundesregierung bestimmt gerne einen Vermittler, Heiner Geißler müsste doch verfügbar sein. (Schlichtervorschlag: Köpfen von Ungläubigen jetzt nur noch werktags zwischen 9 und 17 Uhr, Kreuzigungen nur freitags.)

Mit dieser Kaltschnäuzigkeit steht die Bundesregierung nicht allein. „Kuddelmuddel im Irak: Kurden, Sunniten, Schiiten, Stalaktiten, alle wollen jetzt ein Stück vom Staatskuchen“, heißt es in der aktuellen Titanic so schön. Oder, wie ein Kommentator der ARD bereits im Januar, aber ganz ernsthaft meinte und was immer noch so ziemlich alle Kommentatoren meinen: „Die tief sitzende und berechtigte Unzufriedenheit der irakischen Sunniten bereitet den Eiferern einen fruchtbaren Boden.“

Immer nur Völker und Stämme

Mag sein. Mag sein, dass bei einer integrativeren Politik des Zentralstaats Isis nicht so leicht so tief in den Irak hätte vordringen können. Aber glaubt man wirklich, die Dschihadisten aus Tschetschenien, Afghanistan oder Dinslaken hätten sich davon abhalten lassen? („Ach, die sunnitischen Araber werden im Irak nicht ausgegrenzt? Dann lassen wir das mit dem Dschihad, war eh nur so eine Idee.“)

Was für ein Blödsinn. Einmal mehr zeigt sich das Elend des politischen Denkens in Deutschland seit Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte und Peter Scholl-Latour: Immer von Kultur zu reden, wo es um Politik ginge. Über Stämme und Völker und ihre „uralten Konflikte“ zu sinnieren, wo es um eine Erscheinung der Moderne wie den Islamfaschismus ginge. Und partout nicht zu begreifen, was den Unterschied zwischen Kultur und Zivilisation ausmacht.

Doch genau darum, um die Verteidigung der Zivilisation, geht es im Irak. „Wir stehen vor einem Völkermord, der in seinen Ausmaßen nur vergleichbar ist mit den Massakern in Ruanda und Darfur“, schreibt die Gemeinschaft der Jesidischen Vereine in Deutschland. Auch die Kurdische Gemeinde spricht von einem „drohenden Völkermord“. Das klingt dramatisch. Aber nach allem, was bekannt ist, ist es nicht übertrieben.

Gegen diese Höllenbrut, die aus Dantes Inferno entsprungen sein könnte oder aus einem besonders blutigen Mel-Gibson-Film, gegen diese Rackets namens Isis aber stehen die Kurden allein, wie schon so oft in ihrer Geschichte. Sie demonstrieren in Berlin, unter sich, ohne deutsche, arabische oder türkische Unterstützer und fast unbemerkt von den Medien. Und sie kämpfen allein. Die irakisch-kurdischen Peschmerga bekommen nun – trotz aller internen politischen Differenzen – Hilfe von der türkisch-kurdischen PKK, der syrisch-kurdischen PYD und den Selbstverteidigungskräften der Jesiden, einer kurdischen Bevölkerungsgruppe mit eigener Religion.

Schneller zu den Jungfrauen

Im Gegensatz zu den Isis-Milizen verfügen diese Kämpfer über keine schweren Waffen und sind allenfalls für den Guerillakampf ausgebildet. Da auf die irakische Zentralregierung kein Verlass ist, benötigen sie Hilfe von außen: Waffen, Munition, Unterstützung aus der Luft. Denn antworten kann man diese Bande von Lynchmördern nur in der Sprache, die sie verstehen; das einzige Mittel, sie aufzuhalten, besteht darin, ihren Weg zu den ersehnten 72 Jungfrauen abzukürzen. Das klingt martialisch. Aber anders hat man noch keine faschistische Armee von ihrem Tun abhalten können.

Die moralische Pflicht und die politische Notwendigkeit, den Kurden in ihrem Kampf gegen die Dschihadisten zu helfen, haben alle. Hoffnung auf militärische Hilfe aus Deutschland und Europa haben die Kurden indes nicht. Ihre Hoffnung heißt Amerika, wieder einmal. Und die USA stehen tatsächlich besonders in der Pflicht. Denn derzeit prallen zwei Folgen des Irakkrieges aufeinander: Einerseits haben die USA die Dschihadisten, die sie im Irak zu bekämpfen vorgaben, erst ins Land geholt. (Zwischenzeitig verlagerten sich diese nach Syrien, nun kämpfen sie in beiden Ländern.)

Andererseits hat der Irakkrieg die Autonome Region Kurdistan geschaffen, das erste längerlebige staatliche Gebilde der Kurden, das, anders als der restliche Irak, kein failed state ist, und, im Vergleich zu den Nachbarstaaten, weniger repressiv und einigermaßen säkular. Dass die Christen und Jesiden dort Zuflucht suchen und nicht etwa im Zentralstaat, dürfte kein Zufall sein.

Keine internationale Beachtung

Ähnlich ist die Konstellation in Syrien: Einerseits hat die Isis ihren Aufstieg nicht nur Geldgebern aus Saudi-Arabien oder Katar zu verdanken, sondern auch der Unterstützung etwa der Türkei. Andererseits ist die von kurdischen Milizen kontrollierte Region Rojava wohl die einzige, in der es heute um die Menschenrechte besser bestellt ist als vor Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime. Internationale Beachtung finden sie aber nicht. Zu den – gescheiterten – Friedensgesprächen im Februar in Genf waren sie nicht einmal eingeladen. Vielleicht ist der Angriff der Isis der Moment, der einen eigenen kurdischen Staat notwendig erscheinen lässt.

Doch darum geht es zur Stunde nicht. Zur Stunde geht es um eins: Kurden und Jesiden brauchen Hilfe, humanitäre wie militärische. Für das eine hat der Zentralrat der Jesiden in Deutschland ein Spendenkonto errichtet. Das andere müssen Staaten leisten. Auch Deutschland. Geboten wäre es zudem, all jenen Leuten das Handwerk zu legen, die die Isis-Kämpfer mit ständig neuem Kanonenfutter beliefern. Und mit noch etwas kann sich Deutschland nützlich machen: das PKK-Verbot aufheben. Im Nahen Osten gibt es auf absehbare Zeit nicht viele Kräfte, mit denen Demokratie zu machen ist. Die Kurden gehören dazu.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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