Kommentar Demokratie in Ungarn: Hoffen auf die Finanzmärkte

In Budapest kann die Regierung ihre Verfassung nach Gusto ändern. Rettung könnte höchstens noch von den Finanzmärkten kommen.

Wie Ungarns Premier Viktor Orbán, einem Terminator gleich, jede Niederlage in einen Sieg verwandelt und alle Widersacher ausschaltet, ist schon beeindruckend. Ungarn ist nicht das erste Land, wo offensichtlich verfassungswidrige Gesetze in Verfassungsrang erhoben werden. Doch was da im Parlament in Budapest durchgezogen wurde, hat eine eigene Qualität.

Dass Verfassungsrichter, von denen eh schon so einige von der Regierung selbst ausgewählt wurden, ernsthaft ihrer Pflicht nachgehen, ist wohl nicht vorgesehen. Da ist es nur konsequent, dass man ihnen die Kompetenzen entzieht. Was in Ungarn an Demokratieabbau betrieben wird, spielt sich im Rahmen der Verfassung ab. Die Regierungsfraktion verfügt im Parlament über die notwendige Zweidrittelmehrheit und kann ins Grundgesetz hineinschreiben, was ihr beliebt, beziehungsweise was Orbán anordnet. Rechtlich alles bestens, wie der Premierminister auf Kritik von außen stets ausrichten lässt.

Dass der Totalumbau des Staates nach den Bedürfnissen eines autoritären Charakters dem Geist der europäischen Idee und auch der ungarischen Grundordnung widerspricht, hilft als Kritik nicht weiter. Geister sind bekanntlich schwer zu fassen. Und die ungarische Bevölkerung, die wohl erst in einigen Jahren begreifen wird, wie gründlich Orbán alle Andersdenkenden entmündigt hat, verhält sich bisher gleichgültig. Bisher sind es nur Minderheiten, die protestierend auf die Straße gehen.

Die potentesten Gegner Orbáns sind, ob man es wahrhaben will oder nicht, die Finanzmärkte und Investoren. Sondersteuern für Banken und ausländische Unternehmen, Restriktionen für Immobilienerwerb und neue Gesetze, von denen viele rückwirkend in Kraft gesetzt werden, haben Investoren kopfscheu gemacht. Die zunehmende Rechtsunsicherheit vergrault nicht nur gierige Spekulanten, die aus billigem ungarischem Boden größtmöglichen Profit schlagen wollen.

Der Forint ist in den letzten Tagen auf den Devisenmärkten wieder abgestürzt, geplante Investitionen wurden gestoppt. Man erinnert sich, dass auch Silvio Berlusconi nicht über Bunga-Bunga oder seine zahlreichen Justizaffären gestürzt ist, sondern über den Einspruch der Finanzmärkte. Orbáns Waterloo, das lässt sich voraussagen, wird kein politisches, sondern ein wirtschaftliches sein.

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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