Kommentar DB-Nahverkehrszüge: Die Apokalypse auf Schienen
Woran merkt man, dass DB-Manager nie Regionalbahn fahren? An ihrem Plan, Reservierungen auch in Nahverkehrszügen einzuführen.
I m neuen Jahr möchte die DB mehr Reservierungen im Nahverkehr anbieten. Angezeigt werden die gebuchten Plätze freilich nicht. Auf Vorlage des Belegs wird „Reise nach Jerusalem“ gespielt – lustig, wie beim Kindergeburtstag! Freudenrufe und glockenhelles Lachen schallen durch den RE3 von Stralsund nach Elsterwerda.
Doch wie steht es mit der Machbarkeit, dieser fiesen, kleinen Schwester der guten Absicht? Man wird das Gefühl nicht los, dass die Verantwortlichen wohl nicht so recht wissen, was Regionalverkehr bedeutet. Die „Regibahn“, wie sie der Volksmund in einer Mischung aus Abscheu und Anerkennung, die sich aus der uralten Faszination für das Böse speist, gerne nennt, ist so wenig das Verkehrsmittel der Bahnmanager wie Maultier oder Draisine.
Darum erklären wir die Sache kurz: In besagtem RE3 herrscht Freitagnachmittag an jedem Halt im Berliner Stadtgebiet Ausnahmezustand. Der Ausstieg ist schwer, der Zustieg unmöglich, die Türen sind blockiert, auf den Treppen stehen, wie Sardinen gedrängt, die Fahrgäste. Von Bahnhof zu Bahnhof addiert sich die Verspätung. Am Wochenende wiederum fahren Fußballfans plündernd und kloverstopfend durch die Lande.
Keine schlechten Nachrichten mehr. Nur Müsli, Kniffel und "Warten auf Godot": Eine tazlerin und ein tazler haben sich nach der US-Wahl in einen Bunker zurückgezogen. Die Reportage von Annabelle Seubert und Paul Wrusch über die Zeit, die sie nur mit sich und einer sehr lauten Klospülung verbrachten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 19./20. November. Außerdem: In der Republik Moldau ziehen Großeltern ihre Enkel groß – weil die Eltern auswandern. US-Serien werden immer häufiger von Frauen gemacht. Wie kommt das? Und: ein Lob des Berufspolitikers. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die absolute Apokalypse auf Schienen ist jedoch eine Fahrt mit dem RE1 während des Baumblütenfests in Werder bei Potsdam. Mir öffnen sich bereits beim Anblick eines „Obstwein“-Etiketts im Supermarkt unkontrolliert Tränensack und Schließmuskel und das alles nur wegen dieses einen Tages, an dem er bei der Einfahrt in das Havelstädtchen aus dem Fenster blickte und sich auf der Stelle tot wünschte.
Auf dem Bahnsteig hinderte ein Spalier Bullen in Kampfmontur eine entfesselte Meute Volltrunkener daran, in die Gleise zu fallen. Als die Bahn hielt, traten die Beschützer beiseite und machten den Weg frei zum Sturm. Ein Wimmern drang an mein Ohr – möglich, dass es mein eigenes war. Nur Sekunden später brandete eine Welle des Gestanks, des Lärms und des Irrsinns derart gegen, in und durch den Zug, dass sie ihn fast umgeworfen hätte.
Man wollte sich nicht vorstellen, dass an der nächsten Station jemand zusteigen könnte und mit den Worten: „Sorry, ich hab ’ne Reservierung“, einen besetzten Platz beanspruchte. Die Bestien hätten ihn bei lebendigem Leib zerrissen.
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