Kommentar Balkan: Im Griff der Potentaten

Russland und die Türkei verfolgen ähnliche Ziele. Sie versuchen mehr Einfluss auf dem Balkan zu gewinnen. Dem Westen sollte das nicht egal sein.

Eine junge Frau hält ein Bild hoch, sie steht zwischen anderen Menschen

Eine Schülerin hält in Pristina ein Bild ihres Lehrers fest, der in die Türkei ausgeliefert werden soll Foto: ap

Mit welcher Unverblümtheit der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Machtansprüche erhebt, war in den letzten Tagen im Kosovo zu studieren. Der Potentat duldet keine Widerrede. Dass seinem Wunsch nach Absetzung des Premierministers Ramush Haradinaj, der sich bei der Auslieferung von Gülen-Mitgliedern widerspenstig zeigte, nicht entsprochen wird, kann Erdoğan nicht aushalten. Er sinnt auf Rache.

Die psychologische Konstitution des für das Kosovo anderen wichtigen Potentaten in Moskau ist zwar nicht gleichzusetzen mit der von Erdoğan. Putin erscheint rationaler, taktischer, überlegter, ihm fehlen die Wutausbrüche und Unberechenbarkeiten. Aber beide verfolgen ähnliche Ziele – beharrlich und unbeirrt. Und zu diesen Zielen gehört, von beiden Seiten aus mehr Einfluss auf dem Balkan zu gewinnen.

Der eine möchte sich als Schutzmacht der balkanischen Muslime in Kosovo, dem Sandzak und Bosnien und Herzegowina präsentieren. Der andere ist längst als Schutzmacht der orthodoxen Christen der Region anerkannt. Vor allem in Serbien, teilweise auch in Griechenland, Bulgarien und Rumänien. Beide wollen ihren Einfluss ausdehnen. Das wird über kurz oder lang zu Konflikten zwischen diesen beiden Herrschern führen – im Kosovo wie auch in Bosnien.

Doch noch eint Putin und Erdoğan die Gegnerschaft zum Westen, zur EU, zu den westlichen Werten. Zu der demokratischen Libertinage, zur Homo-Ehe, zu Menschenrechten, Frauenbewegung und anderen westlich dekadenten Einstellungen. Beide halten Familie, Religion, Hierarchie und Führerprinzip für unverzichtbare Bestandteile ihrer Herrschaft. Widerspruch wird nicht geduldet.

Im armen Kosovo lernt jetzt ein großer Teil der Bevölkerung, was es heißt, Potentaten ausgesetzt zu sein. Nur das westliche Europa scheint nicht zu begreifen, wie nah die Gefahr herangerückt ist. Brüssel und damit Deutschland und Frankreich sind gefordert, die Zügel auf dem Balkan wieder in die Hand zu nehmen. Noch ist es nicht zu spät. Es geht jetzt ernsthaft um die Verteidigung unserer Werte.

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Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

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