Kommentar Arbeitslosenzahlen: Vergreisung als Jobmaschine

Die Zahlen stimmen, das Ergebnis ist trotzdem geschönt. Nicht einmal die Hälfte der Hartz-IV-Bezieher taucht in der Statistik auf.

Seniorenstudium statt Arbeitssuche – so geht Jobwunder. Bild: dpa

Es klingt gut, was die Bundesagentur für Arbeit zu verkünden hat: Immer mehr Betriebe suchen nach Mitarbeitern. Aber was heißt das? Diese Jubelbotschaft ist ein Beispiel dafür, wie verwirrend Statistiken sein können.

Das Interesse der Betriebe steigt zwar, doch bei den Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern tut sich fast nichts. Noch immer sind 3,8 Millionen Menschen ohne Job oder befinden sich in einer Maßnahme des Arbeitsamts. Im Behördendeutsch haben sie einen eigenen Namen: Sie gelten allesamt als „unterbeschäftigt“.

Doch selbst diese Statistik schönt das Problem, weil viele faktisch Arbeitslose nicht als arbeitslos gelten. Im März gab es 4,4 Millionen erwerbsfähige Hartz-IV-Bezieher, doch davon tauchten nur knapp 2 Millionen in der Arbeitslosenstatistik auf. Der Rest geht zur Schule, pflegt Angehörige, erhält ergänzende Leistungen oder ist sonst wie aus der Statistik ausgesteuert. Die Gesamtschau ist unerfreulich: Es gibt zwar offene Stellen, aber deswegen steigen die Chancen der Arbeitslosen und Niedriglöhner noch lange nicht.

Anders gesagt: Die vielen neuen Jobangebote haben mit der deutschen Wirtschaftspolitik wenig zu tun. Sie spiegeln nur wider, dass der Nachwuchs fehlt. Die Babyboomer gehen in Rente, aber es gibt kaum noch Jugendliche, die in den Arbeitsmarkt drängen. Daher ist es kein Wunder, dass die Arbeitgeber verzweifelt nach Personal suchen. Manche Firmen gehen schon dazu über, ihren Lehrlingen einen Neuwagen zu versprechen, nur damit sie ja einen Ausbildungsvertrag unterschreiben.

Die Vergreisung ist die eigentliche Jobmaschine, wie auch ein anderes Detail zeigt. Eine der wichtigsten Boombranchen im neuesten Arbeitsmarktbericht heißt: „Heime/Sozialwesen“. Das sagt alles.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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