Kommentar Anschlag in Berlin: Gelassenheit als Gegenwehr

In Berlin ist geschehen, was lange zu befürchten stand. Jetzt Nutzen aus der brutalen Tat ziehen zu wollen, ist widerlich.

das Brandenburger Tor in schwarz-rot-gold, davor ein Weihnachtsbaum

Freiheit bringt Risiken mit sich Foto: dpa

Eigentlich darf es keine Rangfolge der Opfer von Terroranschlägen oder Amokläufen geben. Aber: Erschütterung und Wut sind besonders groß, wenn die Toten arg- und wehrlos waren – und wenn man sich mit ihnen identifizieren kann. Der Besuch eines Weihnachtsmarkts ist ein harmloses Vergnügen, und es gibt in Deutschland nur wenige, die nie einen besucht haben. Verständlich, dass sich von dem Blutbad in Berlin viele Menschen persönlich angegriffen fühlen.

Wer angegriffen wird, reagiert oft nicht rational. Auch das ist nachvollziehbar. Widerlich aber ist es, wenn Politiker unmittelbar nach einer schrecklichen Tat ihre Tischvorlagen aus der Schublade holen, um Nutzen aus einer Gewalttat zu ziehen. Egal wer in Berlin als Täter ermittelt wird – die Öffentlichkeit wird nichts prinzipiell Neues erfahren.

Ja, ganz bestimmt gibt es gewaltbereite Islamisten unter den Hunderttausenden von Flüchtlingen, die nach Deutschland eingereist sind. Das ist keine Überraschung, das ist eine Selbstverständlichkeit. Es gibt sie schließlich auch fast überall sonst auf der Welt.

Aber sollte ein Islamist tatsächlich der Mörder auf dem Weihnachtsmarkt gewesen sein, dann sagt das nichts über die große Mehrheit derjenigen aus, die hier Schutz suchen. Hat vor dem Anschlag in Berlin irgendjemand geglaubt, dass alle Flüchtlinge nette Leute seien, die unsere Werte teilen? Nein. Das hat auch niemand je behauptet.

Wenn wir die Freiheit unserer Gesellschaft bewahren wollen, dann müssen wir eben mit den Risiken leben, die diese Entscheidung beinhaltet. Es ist ekelhaft, wenn jetzt gefordert wird, man müsse die Flüchtlingspolitik grundsätzlich überprüfen. Warum um alles in der Welt? Sollte sich herausstellen, dass ein eifersüchtiger Ehemann christlichen Glaubens in Berlin möglichst viele Leute umbringen wollte, dann würde auch niemand die Institution der Ehe prinzipiell in Zweifel ziehen. Zu Recht nicht.

In Berlin ist geschehen, was schon lange zu befürchten stand. Ein Akt brutaler Gewalt. Die einzig wirksame Gegenwehr: Gelassenheit. Nach wie vor ist das Risiko weit höher, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, als einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen. Dennoch werden Autos nicht verboten. Beim Umgang mit potenziellen Gefahren geht es immer um Güterabwägung. Nie um absolute Sicherheit.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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