Kommentar AKK und Flüchtlingspolitik: Madame Gnadenlos

Unter der neuen Chefin rückt die CDU nach rechts. Dass die Partei das Thema Grenzschließungen forciert, ist nur noch tiefenpsychologisch zu erklären.

Annegret Kramp-Karrenbauer, Bundesvorsitzende der CDU

Warum veranstaltet sie dieses Theater überhaupt? Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die neue CDU-Vorsitzende wischt in der Flüchtlingspolitik mit einem Satz weg, was Angela Merkel jahrelang verteidigt hat. Wenn es wieder zu einem Flüchtlingsandrang wie 2015 käme, hielte sie es für richtig, die deutsche Grenze dicht zu machen. „Wir haben gesagt, als Ultima Ratio wäre das durchaus auch denkbar“, sagte Annegret Kramp-Karrenbauer am Montagabend in den Tagesthemen.

Unter Kramp-Karrenbauer, seit Dezember im Amt, rückt die CDU in der Flüchtlingspolitik also noch weiter nach rechts, das ist nach dem zweitägigen „Werkstattgespräch“ der Partei deutlich geworden. Die Frau, die das strategische Kunststück versucht, sich von Merkel abzusetzen, ohne einen Bruch zu vollziehen, übernimmt an einem entscheidenden Punkt die Position der CSU. Kramp-Karrenbauer präsentiert sich als Madame Gnadenlos, hoffend, damit im Jahr 2019 noch das Bauchgefühl der Deutschen zu treffen.

Zur Erinnerung: Erst im Sommer vergangenen Jahres trieb der damalige CSU-Chef Horst Seehofer die große Koalition mit der Forderung in eine Krise, Geflüchtete, die aus anderen EU-Staaten einreisen, an der Grenze zurückzuweisen. Merkel blieb in der Sache hart und setzte sich durch, Seehofer musste mit einem Minimalkompromiss zurück nach München reisen. Sie hatte recht.

Die Argumente von damals sind nicht falscher geworden. Nationale Maßnahmen greifen angesichts einer globalen Herausforderung zu kurz. Und, das vor allem: Wendete sich die größte Volkswirtschaft der EU von Schengen ab, also vom Verzicht auf Grenzkontrollen in der EU, wäre der symbolische Schaden immens.

Szenarien tausendfach durchgespielt

Überhaupt fragt man sich ja, warum die CDU dieses Theater noch veranstaltet. Angesichts der geringen Flüchtlingszahlen ist es nur noch tiefenpsychologisch zu erklären, dass sie erneut die leidigen Grenzschließungen hochzieht.

Dabei taugt Kramp-Karrenbauers Kurswechsel noch nicht mal als Traumabewältigung für die Vergangenheit. Merkels humane Geste von damals als Fehler zu bezeichnen, das traut man sich in der CDU dann doch nicht. Und was wäre passiert, wenn die Kanzlerin 2015 die offenen Grenzen geschlossen hätte?

Hätten deutsche Beamte Familien mit Wasserwerfern nach Österreich zurücktreiben sollen? Wie lässt sich eine hunderte Kilometer lange grüne Grenze rigide und dauerhaft sichern – mit Zaun und Stacheldraht, errichtet von der Ostdeutschen im Kanzleramt? Die fürchterlichen Szenarien wurden ja tausendfach durchgespielt.

Grenzschließungen produzieren unmenschliche Dilemmata, das ist nicht nur im Mittelmeer zu besichtigen, sondern überall auf der Welt. Kramp-Karrenbauer übergeht sie, wenn sie euphemistisch von einem „intelligenten Grenzregime“ spricht. Überhaupt ist die Sprache der CDU kalt und technisch, wenn es um Menschen geht, die vor Krieg oder großer Not fliehen. Da soll ein „Frühwarnsystem“ her oder ein „Migrations-Monitoring“, als gehe es um drohende Naturkatastrophen, nicht um verzweifelte Geflüchtete.

Die Union müsse in der Migrationspolitik „Humanität und Härte“ vereinen, fordert Kramp-Karrenbauer. Wo ist eigentlich die Humanität geblieben?

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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