Kolumne Über Ball und die Welt: Schrecklich viel Moral

Wenn dicke weiße Männer entscheiden, was rassistisch ist, wird Fußballstar Mario Balotelli auch mal kurzerhand zum Antisemiten gemacht.

Handelsübliche Stereotypen: Luigi und Mario Bild: ap

Was gegen Rassismus zu machen ist, weiß weltweit niemand so gut wie europäische Fußballfunktionäre. Die sind schließlich mehrheitlich weiß, dick, männlich und reich. Weil sie sich da so gut auskennt, ermittelt die englische Football Association gegen Mario Balotelli.

Denn der italienische Stürmer des Liverpool FC hat Übles getan: Auf Instagram teilte er ein Bild der Figur „Super Mario“, mit dem gegen Rassismus geworben werden sollte, denn für den Comic-Helden gelte doch: „Er ist ein italienischer Klempner, erfunden von Japanern, der Englisch spricht und aussieht wie ein Mexikaner.“

Dem Spruch und der Zeichnung hatte Balotelli hinzugefügt: „… springt wie ein Schwarzer und sammelt Münzen wie ein Jude.“ Er hat also zwei sehr handelsübliche Stereotype dort dazu geschrieben, wo man in gewiss bester Absicht glaubte, mitteilen zu müssen, wie Mexikaner so aussehen.

Von dem, worüber er schreibt, versteht Balotelli ziemlich viel: Als Sohn ghanaischer Immigranten kennt er Rassismus: sowohl den der Gesellschaft, der ihm etwa im Fußballstadion mit geworfenen Bananen begegnet, als auch den des Staates, der ihm, der in Palermo geboren wurde, lange Zeit die italienische Staatsbürgerschaft verweigerte. Und Balotelli weiß auch genau, was Antisemitismus ist, denn die Pflegefamilie, bei der er aufwuchs, ist jüdisch und wurde oft angefeindet.

In einer ersten Erwiderung auf die Vorwürfe, da habe ein Fußballer aus Bos- oder Dummheit Rassismus und Antisemitismus verbreitet, twitterte Balotelli, seine Mutter sei schließlich Jüdin, „also haltet gefälligst alle den Mund“. Etwas später und kurz bevor er wegen der vielen Proteste seinen Post löschte, schrieb er auf Instagram: „Der Post war antirassistisch gemeint – mit Humor.“ Aber, fügt er hinzu: „Ich verstehe nun, dass außerhalb dieses Kontextes es den gegenteiligen Effekt haben kann.“

Witz nicht verstanden

Und dann listet er für die ganz Dummen unter seinen Kritikern noch mal die Selbstverständlichkeiten auf: „Nicht alle Mexikaner tragen einen Schnurrbart, nicht alle Schwarzen können hoch springen, und nicht alle Juden lieben Geld.“ Spätestens jetzt hätte die aufgeregte Öffentlichkeit, die mit so schrecklich viel Moral über das schwarze Kind aus jüdischem Hause hergefallen ist, kleinlaut zugeben müssen, dass sie einen – nebenbei: ziemlich guten – Witz nicht verstanden hat.

Aber natürlich hat das niemand zugegeben. Schließlich funktioniert Widerstand gegen Rassismus und Antisemitismus in hiesigen Gesellschaften stets so, dass er dies bewirkt: nichts. Filter melden in Forumsbeiträgen Wörter, in denen Bähwörter stehen: „Hitler“, „Neger“, „Jude“, „schwul“, ohne zu schauen, was damit gemeint ist.

Im Jahr 2008 hatten amerikanische Fundamentalisten, die gerne Nachrichten aus aller Welt verschickten, ihre Software so eingestellt, dass überall dort, wo das Wort „gay“ stand, „homosexual“ auftauchte. Prompt tickerte das grandiose Programm, als eine Meldung zu den US-Leichtathletikmeisterschaften hereinkam, ein „Tyson Homosexual“ habe den 100-Meter-Lauf gewonnen. Gemeint war der Weltklassesprinter Tyson Gay.

Dümmliche fundamentalistische Schwulenhasser sind, so der traurige Befund, sogar schlauer als hiesige Hobbyantirassisten: Sie haben nämlich einzusehen gelernt, dass sich einem sozialen Phänomen nicht mit bloßem Formalismus beikommen lässt. Zugegeben, das bringt sie nicht dazu, von ihrem Schwulenhass zu lassen, aber immerhin haben sie sich mit ihrer Homophobie gründlich lächerlich gemacht.

Was Rassismus und Antisemitismus angeht, dominiert immer noch die Vorstellung, das seien bloß dümmliche Stereotypen und die müsse man durch andere, scheinbar weniger dümmliche Stereotype ersetzen – tausche beispielsweise „Jude“ durch „Mexikaner“. Mario Balotelli hat immerhin versucht, diesen Unfug mit Witz und Intelligenz lächerlich zu machen. Danke.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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