Kolumne Nüchtern: Klarer in Brandenburg

Zwar haben Menschen schon immer Alkohol getrunken, aber heute trinken wir unvergleichlich mehr. Warum die „Mad Men“-Nostalgie in die Irre führt.

Man muss ja wirklich nicht alles trinken ... Bild: reuters

Vergangenen Samstag fand ich mich unter einem Partyzelt auf dem brandenburgischen Land wieder und fragte mich wie so oft in meinem Leben, was mich ausgerechnet hierher verschlagen hatte. Wie ich erfuhr, bestand die Partyplanung darin, neben Entertainmenteinlagen, einigen Kästen Bier und einem kalten Buffet eine Flasche Klaren pro Gast bereitzustellen. Liebevoll angebrachte Metallplaketten verkündeten „Korn trinken hilft der Landwirtschaft“.

Es war ein sehr lustiger Abend. Eigentlich hatte ich vorgehabt, ihn mit der Kolumnendeadline im Kopf als soziologische Ministudie zu nehmen. Aber so richtig weit kam ich damit nicht. Das Geschehen wirkte überaus normal. Die meisten der Anwesenden hatten eine anstrengende Erntewoche hinter sich und schalteten jetzt ab.Viele von ihnen machten den Eindruck, als würde es ihnen sehr viel besser tun, nicht so viel zu trinken, und als würden sie das auch wissen. Aber dem Trinken, ich erinnere mich gut, ist mit Vernunft nur schwer beizukommen. Alle Anwesenden wirkten vernünftig.

Ich musste viel an einen Freund von mir denken, der findet, dass ich in dieser Kolumne ausklammere, dass es viele Menschen gibt, die einfach gerne trinken, und dass ich praktisch einem ganzen Land ein Alkoholproblem attestiere. Immerhin werde in Deutschland schon seit Jahrhunderten Wein angebaut und Bier gebraut. Leute hier hätten schon immer viel getrunken.

Vervierfachter Konsum

Auch Peter Richter führt in seinem Buch „Alkohol“, einer Ode an den funktionierenden Alkoholismus, historische Gründe für das Trinken an. Dafür holt er sogar bis zu den alten Ägyptern aus, die schon Bier brauten. Solange man nicht mehr als zehn Gläser am Abend und viel Wasser zwischendurch trinkt, so Richter, und ab und zu mal eine Pause einlegt, sei alles in Ordnung: „Betrunkenen wird generell viel zu wenig Verständnis entgegengebracht.“

Das Problem mit der historischen These ist natürlich, dass sie falsch ist. Zwar haben Menschen tatsächlich schon immer Alkohol getrunken, aber heute trinken wir unvergleichlich mehr. Das hat mit unserem wachsenden Wohlstand zu tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Alkoholkonsum in Deutschland vervierfacht. Der durchschnittliche Deutsche nimmt heute pro Jahr 7,5 Liter mehr reinen Alkohols zu sich als 1950. Er trinkt 91 Liter mehr Bier als sein Großvater, 13 Liter mehr Wein, 5 Liter mehr Sekt und 3,4 Liter mehr harte Spirituosen.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in ganz Westeuropa und den USA beobachten. Wer trotzdem in „Mad Men“-Nostalgie verfällt, sei daran erinnert, dass auch der glamouröse Dauerbetrunkene Don Draper am Ende der neuen Staffel seinen Job verliert.

Wir leben in einem Land, in dem Alkohol ungleich günstiger als andere Genussmittel besteuert wird. Man zahlt Pfand auf Mineralwasserflaschen, aber nicht auf Weinflaschen. Mit Kinowerbung und Plakataktionen warnt man vor dem steigenden Alkoholkonsum unter Jugendlichen, ohne zu fragen, wie Jugendliche eigentlich auf die Idee kommen, so viel zu trinken.

Es wäre nur logisch, an dieser Stelle ein Plädoyer für eine breit angelegte Aufklärungskampagne zu liefern und nachdrücklich vor Gesundheits- und Suchtrisiken zu warnen. Aber das Trinken, glaube ich, widersetzt sich der Logik. Das Wort „Alkoholproblem“ legt nahe, dass es sich dabei um etwas handelt, dem man mit Vernunft beikommen kann. Doch wenn das so wäre, hätte niemand von uns eines. Man trinkt nicht weniger, weil man weiß, dass man ein Problem hat. Man hört nicht mit dem Trinken auf, indem man analysiert, warum man trinkt. Man hört damit auf, indem man aufhört.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Schreibt für verschiedene Zeitungen, Zeitschriften und das Radio über Literatur und Kunst. Sein Buch "Susan Sontag. Geist und Glamour", die erste umfassende Biografie über die amerikanische Intellektuelle, ist im Aufbau-Verlag und in amerikanischer Übersetzung bei Northwestern University Press erschienen. Im Herbst 2014 kommt sein neues Buch "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" bei Hanser Berlin heraus. Darin erzählt er seine persönliche Geschichte und macht sich über die deutsche Einstellung zum Trinken und Nicht-Trinken Gedanken. Schreiber lebt in Berlin. ( http://daniel-schreiber.org )

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.