Kolumne Mittelalter: Größer als diese Herren

Die Helden der Kindheit lebten in Büchern. Die Helden von heute sitzen im Knast – und müssen sich dafür von niemandem bekritteln lassen.

Viele Menschen stehen zusammen. Ein Mann hält ein Schild vor seine Nase. Darauf steht: Free Deniz

Demo für Deniz Yücel vor der türkischen Botschaft in Berlin Ende Februar 2017 Foto: dpa

Als ich ein kleiner Junge war, gruppierte ich um mein Klappbett ritterliche Gestalten aus Sagen und Märchen. Sie sollten mich vor den Monstern und Dämonen beschützen, die in der Tiefe der Nacht aus ihren armseligen Löchern hervorkrochen.

Später in der Schule machte ich mich hartnäckig lächerlich, weil ich behauptete, mit den Tieren sprechen zu können, inspiriert von den Dschungelbuch- und Tarzanplatten, die ich zum Einschlafen hörte.

Aber auch den weißen Hirsch im Wildpark Poing bei München, der mir im Traum erschienen war, übernahm ich in die Realität – denn ich hatte ihn ja gesehen und vor allem: Ich brauchte einen weißen Hirsch in meinem Leben.

So wie ich später die Privatermittler der „Schwarzen Serie“ brauchte, den „Continental Op“ Dashiell Hammetts, der in Pissville aufräumt, und den nicht minder hartgesottenen Sam Spade, den es am Ende von „Der Malteser Falke“ förmlich zerreißt, als er die Liebe der Frau, die seinen Partner auf dem Gewissen hat, zurückweist, weil er nicht „den Trottel für sie spielen“ kann.

Wie Philip Marlowe

Und obwohl oder gerade weil mein Aufwachsen in der noch friedvoll-konsumorientierten Bundesrepublik der 1970er und 1980er Jahre ohne große Ausschläge war, hatte ich einen unstillbaren Hunger nach den Werten Philip Mar­lowes, den die Polizei im Gefängnis meint weichkochen zu können und der sie einfach auslacht.

Diese Geschichten waren meine Verbündeten in einer Welt, die einen dauernd auf Spur zu bringen versuchte. „Manchmal, wenn du den großen Horror hast, ist eine gute Geschichte das Einzige, was noch hilft“, las ich später bei Jörg Fauser und glaubte das da schon nicht mehr so ganz, weil die Realität mir immer mehr auf den Pelz rückte und ich feststellen musste, wie schwierig es ist, sich allein im Alltäglichen wie ein Held zu verhalten – und gerade da wird es gebraucht.

Ich bewundere all die Kolleginnen und Freunde, die sich nicht lähmen lassen, sondern laut und fröhlich ihre Solidarität und Liebe mit und zu Deniz Yücel zum Ausdruck bringen; und es macht mich glücklich, wenn ich lese, dass das bei Deniz auch tatsächlich ankommt. Jetzt ist keine Zeit für Romantisierungen, sondern, wie es Georg Diez gerade aufgeschrieben hat, „a time for press solidarity, not finger-pointing“. Finger-pointing, wie es bekanntermaßen von ewig zu kurz gekommenen Kollegen in der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung betrieben wurde.

Dazu, lieber Deniz, aber auch zu dem sehr viel Schlimmeren, was Du gerade erleiden musst, habe ich keine Geschichte, nur das deutscheste Zitat wo gibt, das mir immer in den Sinn kommt, wenn Deine Bekrittler aus ihren Löchern kriechen.

„Bei Schiller“, sagt da ein Herr Eckermann, „bei Schiller spricht doch immer ein grandioser Geist und Charakter.“ „Das wollte ich meinen“, antwortet ein Herr Goethe. „Schiller mochte sich stellen, wie er wollte, er konnte gar nichts machen, was nicht immer bei weitem größer herauskam als das Beste dieser neueren; ja wenn Schiller sich die Nägel beschnitt, war er größer als diese Herren.“

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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