Kolumne Lustobjekte: Frühling im Hinterhaus

Stöhnende Nachbarn, kein Balkon: Es ist Frühlingsanfang. Und nicht nur die Hasen schlagen Purzelbäume.

Ein Stockwerk über mir kleben sie gerade einen Balkon an die Wand. Kein Witz. Die Wohnung wird renoviert, da haben sie sich wohl gedacht: So ein Balkon wär doch nett, kann ja nicht viel schwieriger sein, als falschen Stuck an die Decke zu pappen und drüberzustreichen.

Ehrlich gesagt, bin ich mächtig neidisch. Ich hätte auch gern einen Balkon, es wird ja wieder Frühling. Die Bäume schlagen aus und die Hasen Purzelbäume, ach könnt’ ich nur einen kleinen Kräutergarten pflanzen, ich wär’ ein glücklicherer Mensch. Spontan beschließe ich, umzuziehen, aber nach drei Tagen habe ich immer noch keine Wohnung gefunden, und ich bin ungeduldig, un-ge-dul-dig!, draußen rasten die Vögel aus und drinnen ich.

Lasse ich meine Wut eben an den vierzig Quadratmetern aus, die ich gepachtet habe. Ich drehe die Musik auf, binde mir eine Schürze um und ein Tuch ins Haar und putze Fenster, klopfe Teppiche aus, wische Staub, wasche Vorhänge, werfe Weihnachtsplätzchen weg. Sollen doch andere zur Katharsis ins Kloster gehen oder heilfasten, ich kümmer mich um die Frühlingsquote.

Ziel ist, dass die Wohnung am Ende aussieht wie ein Ort, an dem Kolibris süßen Nektar trinken, Kinder in weißen Rüschenkleidern auf Hollywoodschaukeln sitzen und nachmittags pünktlich um vier ein rotbackiger Apfel auf die Wiese plumpst. Wenn ich fertig bin, kann Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland einpacken mit seinem Angebergarten und dem Birnbaum, oh ja.

Abends kommt der Mann vorbei, der für die frühlingshaften Gefühle in mir drin zuständig ist. „Ich würde dir ja gern mal Blumen mitbringen, aber du hast immer schon welche“, sagt er und zeigt vorwurfsvoll auf die Vase mit den Tulpen und die Narzissen am Küchenfenster.

„Scheiß auf die Blumen“, sage ich, „wir müssen mein Zimmer umräumen.“ Ich bin ein wütender Berserker, alles muss raus, was keine Miete zahlt. Veränderung, Neubeginn, Ve-ro-ni-ka, der Lenz ist da. Wir schieben die Möbel von links nach rechts und von rechts nach links.

„Muss das eigentlich sein, dass du alle paar Sekunden den Staubsauger anmachst?“, sagt der Mann. Er schnauft. „Nachher steht doch eh wieder irgendwas dort. Saug doch am Ende einmal drum herum.“ Plötzlich habe ich das Bedürfnis, Holz zu hacken. Nanu, das Bett ist aus Holz! Ich stemme es in die Luft und – „Halt, du musst in die Knie gehen“, sagt der Mann, „sonst machst du dir den Rücken kaputt.“ Draußen knallt die erste Knospe und mein Nachbar seine Frau. Frühling im Hinterhaus, ach ja. „Vielleicht magst du den Staubsauger wieder anmachen“, sagt der Mann. „Da ist noch Dreck.“

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Jahrgang 1984, Redakteurin der taz am wochenende. Bücher: „Rattatatam, mein Herz – Vom Leben mit der Angst“ (2018, KiWi). „Theo weiß, was er will“ (2016, Carlsen). „Müslimädchen – Mein Trauma vom gesunden Leben“ (2013, Lübbe).

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