Kolumne Lügenleser: Aufklärung ist keine Einbahnstraße

Man muss an die breite Masse herantreten, wenn man was verändern will. Die Band Feine Sahne Fischfilet hat gezeigt, wie man es machen könnte.

Wilhelm (Jan "Monchi" Gorkow von der Punkband Feine Sahne Fischfilet) singt in einem Feuerherz am Volkstheater Rostock.

Spread the Love: Feine Sahne Fischfilet Foto: dpa

Das Theater ist gut gefüllt. Mitteljunge, gebildete Menschen. Man sieht ihnen an, dass sie über das Gesehene diskutieren werden, im Theatergarten, bei einer Weißweinschorle, gleich nach dem zu erwartenden Applaus.

Der Vorhang öffnet sich. Die Inszenierung ist gut, das Stück ebenfalls. Es behandelt relevante und wichtige Themen der Gesellschaft. Wie immer. Es geht um Homophobie, aktuelle politische Geschehnisse, Feminismus und Missbrauch.

Es gibt nichts zu kritisieren an diesem Abend. Und doch bleibt nur eine einzige Frage zurück, als der Saal sich wieder leert. Für wen war das jetzt? Hat man irgendjemanden erreicht, der vorher anderer Meinung war? Und ist das überhaupt die Aufgabe von Kunst?

Ist es, natürlich. Dass der kleine Mann und die kleine Frau (oder wie despektierlich man Menschen noch nennen kann, die sich konsequenterweise mehr für das eigene Abendbrot interessieren als für die unwürdigen Arbeitsbedingungen der Kinder in Bangladesch) derlei Veranstaltungen fernbleiben, ist Realität. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Herzlosigkeit

Gründe dafür gibt es genug. Das aufklärerische, gut gemeinte Buch an sich kann nichts dafür, dass es meist von aufgeklärten, alles gut meinenden Lesern konsumiert wird. Geschrieben, gesprochen und gespielt wird dennoch für Seinesgleichen.

Der Zustand ist orts- und fraktionsübergreifend. Ob bei Anne Will, in der Politik oder bei einer aufrüttelnden Vernissage: Man ist gemeinsam empört, schimpft über die anderen, bestätigt sich selber, schöpft Hoffnung und beendet alles mit einem versöhnlichen Satz. Bis nächsten Sonntag. Im TV. Im Theater. Im Bücherclub. Beim Plenum.

Das Problem daran: Die reale Herzlosigkeit des angeblich aufgeklärten Bildungsbürgers wird nicht weniger herzlos, weil er erneut aufgeklärt wird. Das sollte man inzwischen begriffen haben. Der Umsturz kommt nie von oben und selten aus der Mittelschicht. Man muss an die breite Masse herantreten, wenn man etwas verändern will.

Die rechte Wortergreifungsstrategie hat das Problem vor langer Zeit erkannt. Was bringt es, sich in halbleeren Bierzelten gegenseitig das zu bestätigen, was man sowieso glaubt. Also wird dahin gegangen, wo es vermeintlich erst einmal wehtut, zum politischem Gegner. In sozialen Medien etwa ist der „Lügenleser“ längst Normalität.

Echte Alternativen

Unter Artikeln mit angeblich linken Inhalten (also dort, wo auch nur ein Hauch von Humanismus weht), aber auch bei der örtlichen Diskussionsveranstaltung und im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs ist er aktiv. Er pflanzt seine Themen dort, wo sie eigentlich nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Auch wenn es schmerzt, das anzuerkennen: Es ist eine logische Strategie, anders ist Ausbreitung kaum möglich.

Es gibt glücklicherweise auch die Gegenbeispieler. Die Band Feine Sahne Fischfilet beispielsweise hat mit ihrer Konzertreihe im Hinterland gezeigt, wie man es machen könnte. Vor Ort agieren. Alternativen bieten zum luftleeren Raum. Echte Alternativen. Name und vor allem Fazit der grandiosen Aktion: „Noch nicht komplett im Arsch!“

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Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  

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