Kolumne Kulturbeutel: Für eine Handvoll D-Mark

Das romanhafte, beispiellose und doch so normale Leben des Basketball-Migranten Wilbert Olinde jr., den es 1977 nach Göttingen verschlug.

Wilbert Olinde in einer Sporthalle, hält seine Handfläche in Richtung Kamera

Five! Wilbert Olinde, Göttinger Basketballlegende zurück an alter Wirkungsstätte Foto: imago/Hubert Jelinek

Sie werden nicht Einwanderer genannt und auch nicht Zuwanderer. Gastarbeiter nennt man sie ganz selten und eigentlich nie Arbeitsmigranten. Wenn sie nicht so gut spielen, wie die Fans es erwarten, dann fällt nicht selten das Wort Söldner. Wenn sich ein Spieler aus den USA einbürgern lässt, wird er gewiss nicht als Basketballer mit Migrationshintergrund bezeichnet. Der Verein in der Bundesliga, bei dem er spielt, freut sich, weil der Spieler das Ausländerkontingent, das die Zahl der nichtdeutschen Basketballer im Aufgebot auf sechs beschränkt, nicht belastet.

Womit wir das Wort für einen Basketballer, der als Arbeitsmigrant von einem Klub angestellt wird und nach Deutschland zu- oder einwandert, gefunden hätten. Er wird ganz einfach Ausländer genannt. Daran hat sich nicht viel geändert, seit ein junger US-Amerikaner namens Wilbert Olinde im Jahr 1977 aus Kalifornien aufgebrochen ist, um für eine Handvoll D-Mark für den SSC Göttingen Basketball zu spielen.

Dessen Geschichte hat Christoph Ribbat in einer spektakulären Biografie aufgeschrieben. „Deuschland für eine Saison“ (Suhrkamp 2017) heißt das Buch über das Leben Olindes, der sich seinerzeit nicht vorstellen konnte, dass er bis heute in Deutschland leben, dass er Deutscher werden würde, nach seiner Karriere als Basketballer, in der er Göttinger Teams zu drei deutschen Meistertiteln verhalf, beruflich und privat Fuß fassen würde weit weg von den USA. Er hatte nur einen Vertrag für eine Saison, als er in Göttingen ankam. Am Ende spielte er zehn Jahre in der Stadt, brachte es zum Nationalspieler, verliebte sich, wurde Vater dreier Kinder und arbeitet bis heute als Mentalcoach in Deutschland.

Ribbat schreibt die Lebensgeschichte, zu der auch die Erfahrungen der Vorfahren Olindes als Schwarze in den Südstaaten der USA gehören, derart eindrucksvoll, dass beim Lesen der Eindruck aufkommt, man sei in einem Roman gelandet. Die allgegenwärtigen Fußnoten, die zu jedem Zitat den Quellennachweis liefern, lassen dann doch keinen Zweifel zu. Es ist wirklich geschehen, was da beschrieben und in die Zeitläufte eingeordnet wird.

Emotionales Lehrstück

Entstanden ist ein Lehrbuch, das ohne Zeigefinger auskommt, ein geschichtlicher Ritt durch die Bundesrepublik von 1977 bis heute, ein Rückblick auf die Rassentrennung in den Südstaaten der USA und ein nachdenklicher Essay über Vorurteile und Antiamerikanismus in Deutschland.

Es ist aber auch ein Basketballbuch. Eines, das erzählt, wie schwer es für einen Spieler ist, der in seinem Collegeteam ein mannschaftsdienlicher Flügel war, die Fans nicht zu enttäuschen, die von ihrem Ami erwarten, dass er eine Führungsrolle übernimmt. Es geht um die Entwicklung des professionellen Basketballs in Deutschland, darum, dass es heute nicht mehr möglich ist, im Mannschaftsbus zu rauchen und jeden freien Abend zusammen in der Stammkneipe zu saufen.

Und weil auch glaubhaft Zweifel mitgeliefert werden, ob es einem weißen Europäer zusteht, mit einem Buch über die Geschichte eines schwarzen Menschen, in dem dessen Hautfarbe durchaus keine Nebenrolle spielt, nach Anerkennung zu streben. Jeder Satz dieses Buches ist durchdacht, und doch ist es keine trockene Lektüre. Als beschrieben wird, wie Olindes Sohn Louis mit der deutschen U18-Nationalmannschaft das wichtigste Nachwuchsturnier im Basketball gewinnt, möchte man am liebsten mitjubeln, so nah kommt Christoph Ribbat den Gefühlen des stolzen Vaters in diesem Moment. Es ist einer dieser Das-kann-doch-wohl-nicht-wahr-sein-Momente, von denen es in der Biografie nur so wimmelt.

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