Kolumne Jung und dumm: Vorher wissen, was nachher passiert

Es ist das uralte Problem von Philosophen, Dichtern, Kindern und Menschen, die gezielt tätig werden wollen: Was soll ich machen? Und wo beginnen?

Ärztinnen tragen Mundschutz und desinfizieren ihre Hände

Wie soll eine Ärztin heilen, ohne vorher zu wissen, was nachher geholfen haben wird? Foto: dpa

Woher soll man vorher wissen, was man nachher gemacht haben wird? Diese Frage stellen sich immer mehr Menschen und wollen Teller zu Schüsseln umformen oder als Linke linke Kerninhalte wie Veränderung der Gesellschaft oder Nazis verachten entkernen, also abschaffen. Kontrollverlust droht immer – besser das Haus nicht verlassen, sorgt für Hilfe.

Was noch? Vorher wissen immer mehr Polizisten, was nachher passiert sein wird: Gewalt und Crime. Deshalb verhindert ein immer vorbeugenderes Strafrecht, dass Menschen Sachen machen, schon bevor sie sie machen (können (werden)). Das bewahrt uns davor, dass Gefahren, also Möglichkeitsräume, erst entstehen, bevor sie entstehen. Sonst wüsste man auch gar nicht so gut weiter.

Es ist das uralte Problem von Philosophen, Dichtern, Kindern und Menschen, die gezielt tätig werden wollen: Was soll ich machen? Und wo beginnen? Wie soll ich einen Durchstich machen, genau diese eine Handlungsoption da aufspießen und den Rest mangels Merkvolumen glibbernd in den Gully suppen lassen; und wie vorher wissen, dass ich nicht selbst sogar unmerkbar daran klebe, an dem, was den Gully bald von unten wird betrachtet haben, und somit selbst, ich, den Gully, bald schreiend von unten werde, nicht mehr rausgekommen und verloren sein geworden bin?

Wie soll eine Ärztin ihr röchelnd krankes Wartezimmer heilen, ohne vorher zu wissen, was nachher wird geholfen haben? Je weniger man weiß, je kleiner der Möglichkeitsraum, desto besser: Der alte homöopathische Grundsatz wird von geistigen Berliner Pharma-Lobbyisten mit Öko-Antlitz auf der Dampfwalze der Ignoranz plattgefahren, einmal mehr. Warum hilft mir etwas und nicht nichts?

Faschisten und Karnevalisten

Aber schließlich gibt es ja noch Ahnungen.

Selbst in (meta-)aufgeklärten Kreisen zum Beispiel, in denen für den Rest des Jahres Skepsis und schlechte Laune auf dem inneren Rezeptblock gekrakelt stehen, sind, wenn es drauf ankommt, plötzlich dann doch alle Faschisten oder Karnevalisten. Das soll uns keine Angst machen, denn es war ja – eben: zu erahnen.

Während man jedoch in den diversen Lebensschichten des bald vermutlich vielleicht bald die Gesellschaft beherrschenden Gedankenprekariats noch immer einen (und sei es zu verhindernden) Sinn hinter allem vermutet, hat die SPD nun endlich zu jener neuen Sprache gefunden, die sie wieder zu lange ungekanntem Erfolg führen wird. Ist das „Pflegepersonal-Stärkungsgesetz“ noch etwas dezenter gehalten, so folgen das „Starke-Familien-“ oder „Gute-Kita-Gesetz“ einer ganz eigenen „Framing“-Logik, wie der Autor Hans Hütt neulich schrieb. Es wäre schön, wenn auch die Gesetzestexte selbst nicht viel mehr enthielten, als endlich „gute Kitas“ und „starke Familien“ zu haben und machen; für die Menschen eben. Man ahnte dann, wohin das führen könnte.

Warum die anderen nicht so nett wie Sie sind? Weil Sie zu viel erwarten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.