Kolumne Immer bereit: Mal rischtisch feiern lernen

Ein Besuch am Ort der Kindheit: übler Gestank wie immer, aber Kinderwagen statt Fahrräder, die den Flur versperren.

Wie war das, damals? Bild: dpa

Der Innenhof Hufelandstraße 26 ist genauso hässlich wie in meiner Kindheit. Nur die Mülltonnen sind jetzt bunt und dreimal so viele. Und die Belüftungen haben Rohre, die den Gestank nach oben ableiten. Es stinkt auch anders. Asiatisches Essen und Latte macchiato statt Kneipe und Friseur. Prenzlauer Berg eben. Früher und heute.

Im Treppenhaus ist der komische Kronleuchter auch noch derselbe wie Mitte der 90er, als sie das Treppenhaus sanierten und das klassische Berliner Ochsenblut an den Wohnungstüren durch ein Babydurchfallbraun ersetzten. Dafür versperren jetzt Kinderwagen statt Fahrräder den Weg. Ich mache Fotos mit dem Handy und komme mir vor wie ein Stasispitzel.

Frank, mein Friseur, hat mir einmal erzählt, er sei Anfang/Mitte der 80er mal auf einer Fete in der Hufelandstraße gewesen, vielleicht sogar bei uns im Haus. „Da wohnte ’ne Frau, die war Model“, sagt Frank, „in so ’ner riesigen Wohnung mit Erker. Und in dem Erker, ditt weeß ick noch, stand so’n überdimensionaler Ficus Benjamin, sowatt hatte damals jeder. Die Frau is denn rüber in’n Westen kurz danach.“

Ich erinnere mich, dass damals, 86, noch eine dritte Familie frisch eingezogen war. „Stasi“, hat meine Mama gesagt, hinter vorgehaltener Hand, aber natürlich nicht zu mir – ich hätte es ja doch gleich wieder in der Schule erzählt. Erzählen konnte ich schon immer gut.

Meine Eltern hatten die Wohnung im Tausch gegen unsere Altneubauwohnung in Adlershof bekommen. Ich wäre viel lieber dort geblieben. Mein Kinderzimmer in Adlershof war lichtdurchströmt, oberstes Stockwerk der Spielplatz direkt vor dem Haus. Als ich das erste Mal die neue Wohnung sah, wohnten da noch die Vormieter. Alles an der Wohnung war großzügig. Vier Meter hohe Räume, Stuck an der Decke, Parkettfußboden. Leider nur hatten unsere Vormieter in dem zweiteiligen, durch Flügeltüren geteilten Salon auf Brusthöhe eine Holzvertäfelung angebracht, die dem ballsaalartigen Raum das Flair einer Bahnhofskneipe verlieh.

Um dem Ganzen den Kronkorken aufzusetzen, waren oben, auf dem Sims der Vertäfelung, zur Dekoration Büchsen drapiert. Getränkebüchsen. Eine Dose DAB-Bier, eine Dose Becks, immer abwechselnd. Unsere Vormieter waren jedenfalls nicht bei der Stasi.

Obwohl. Egon Krenz, der letzte DDR-Obere, wurde 1989 in einem Rundfunkinterview gefragt, was er denn so an seinem Feierabend mache. Antwort: „das gleiche, was ein ganz normaler Arbeiter auch macht. Ich setze mich auf die Couch, sehe fern und trink ’ne Dose Bier.“

Die Stasi hat gleich nach unserem Einzug Erkundigungen über uns eingeholt. Frau Petersen, die alte Dame in der Wohnung schräg über uns, erzählte es uns gleich brühwarm am nächsten Tag. „Ick hab denen jesacht, ditt sind ruhige Leute.“ Man muss dazu wissen, dass Frau Petersen halb taub war.

Nach dem Polterabend meiner Eltern ein Jahr später inklusive Freejazzband und hundert Gästen und einem ganzen Porzellanladen, der auf dem Treppenabsatz zerschmettert worden war, empörte sie sich am nächsten Morgen: „Wir ham janischt jehört. Ick hab schon zu mein Mann jesacht: Die müssen wa ma rischtisch feiern lernen!“ Ich muss lachen, als ich daran denke.

„Entschuldigen Sie, was MACHEN Sie hier eigentlich?“, spricht mich eine junge Frau an.

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

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