Kolumne Immer Bereit: Einfach plattgemacht

Letzte Woche wurde mein Fahrrad überfahren. An der Laterne vor unserem Haus. Ich war nicht dabei.​ Eine Wintergeschichte.

Rad im Schnee

Es ist eine schwierige Jahreszeit für Räder Foto: dpa

Februar ist’s, der Himmel ist grau, alle Menschen sind krank und/oder traurig. Eigentlich ist der Februar der kürzeste Monat des Jahres. Mir kommt er unendlich vor. So viel Unglück! Letzte Woche wurde mein Fahrrad überfahren. An der Laterne vor unserem Haus. Ich war nicht dabei.

In der Nacht zu Dienstag war der Schneeregen kurzzeitig in Schnee übergegangen und hatte die Stadt mit Pelz überzogen. Das war schön, plötzlich war alles so leise.

Ich mag leise. Geräusche, denen man zuhören muss, um sie wahrzunehmen. Das Gluckern der Heizung in meinem Rücken. Das Krisseln der Kohlensäure in dem Glas vor mir auf dem Tisch. Das ferne Schnarchen des Liebsten im Schlafzimmer.

In der Wohnung unter uns waren vor Kurzem neue Nachbarn eingezogen. Ein junges Pärchen mit Baby. Eigentlich fanden wir uns ganz nett, aber nach einer sehr ruhigen Selbstfindungsphase hatten sie ihre Leidenschaft für laute Musik entdeckt. Ganz doll mit Bässen. Immer um 16 Uhr ging es los. Drei Mal war ich letzte Woche unten.

Wenn mal richtig Schnee liegt, ist ganz Berlin in den Nachtmodus gestellt. Als ob dem Lärm ein Kissen übergestülpt würde.

Montagnacht schob ich mein Fahrrad nach Hause und fror. Ich war beim Sport gewesen. Fahrrad fahren. Völlig bescheuert eigentlich. Ich fahre mit meinem Fahrrad zum Sportstudio, wo ich mich auf ein Fahrrad setze, das sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt, sosehr ich auch strampele, und dann schiebe ich völlig fertig mein Fahrrad durch den Schnee vom Sportstudio nach Hause.

Eine Woche zuvor waren während des Fahrradkurses sämtliche Fahrräder vor dem Sportstudio von der Straße weg geklaut worden. Nur meins hatten sie stehen lassen. Ich war fast eher beleidigt als erleichtert.

Eine Woche zuvor waren sämtliche Fahrräder vor dem Sportstudio geklaut worden. Nur meins hatten sie stehen lassen.

Und dann schiebe ich letzten Montag mein Fahrrad durch den Schnee nach Hause, schließe es an der Laterne vor meiner Wohnungstür an, wie ich das seit zwölf Jahren tue, und gehe nach oben und ins Bett. Und dann steht Paul plötzlich am nächsten Morgen wieder im Flur, nachdem er sich 40 Minuten vorher schon verabschiedet hatte, und ich krieg sofort einen Herzkasper und denke, es muss was ganz Schlimmes passiert sein, und er sagt: „Ach, du bist schon wach. Ich wollte nur deinen Ausweis holen.“

Als ob diese Aussage irgendwie beruhigend wäre. Und dann sagt er traurig: „Spätzchen, du musst jetzt ganz tapfer sein. Dein Fahrrad wurde überfahren. Die Polizei ist schon unten.“ Und ich hab plötzlich so einen Wahrnehmungsschub, wie in „Vertigo“ von Hitchcock oder in der Teppichszene von „Trainspotting“. Ich höre nur „Fahrrad“ und „Polizei“ und renne schon die Treppe runter.

Das Schloss hatte gehalten. Das Rad war immer noch sicher und fest an die Laterne angeschlossen. Aber das Vorderrad war ineinandergeknautscht zu einer Acht, wie sie im Buche steht, während das unversehrte Hinterteil des Rades in die Büsche geworfen worden war. Und vor dem Fahrrad im Schnee waren Reifenspuren. Mein inneres Fräulein Smilla war sofort hellwach.

Die Reifenspuren führten frontal von vorne auf die Laterne zu, dann denselben Weg wieder zurück und schließlich im Bogen drum herum. Mein Fahrrad war im angeschlossenen Zustand an seiner Heimatlaterne überfahren worden. Als hätte man es im Schlaf erdolcht. Hinterhältige Saubande!

Lackspuren waren auch zu sehen. Die Polizei ermittelt. Mein Leben als ZDF-Krimi.

Sonntag, 16 Uhr. Die Nachbarn sind wieder da. Die Bässe auch. Der Blechcontainer neben meinem Schreibtisch hüpft im Takt durch den Raum. Ich denke, ich werde mal runter gehen.

Passt auf euch auf! Und seid nett zueinander. Auch der längste Februar geht mal vorbei.

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