Kolumne Ich meld mich: Hinterm Horizont geht’s immer weiter

Es zieht uns ans Meer. Sanft laufen die Wellen an der Küste auf. Und dann, im nächsten Moment schon sind sie unberechenbar und zerstörerisch.

Wellen peitschen an die felsige Küste

Wenn das Meer nicht mehr atmet, weiß keiner mehr, dass es uns gab Foto: imago/Westend 61

Was zieht uns ans Meer? Was für eine Frage – wir wollen Sonne tanken, Sand zwischen den Zehen spüren und viel knusprig braune Haut vorzeigen. Aber wir möchten auch Salzluft schnuppern, kilometerweite Spaziergänge unternehmen und jede Menge Fisch und Krabben essen.

Das Versprechen von Vergnügen und Gesundheit ist es, was uns ans Meer lockt. Ein guter Ort für Party und Relaxen. Alles andere, was hineingeheimnist wird, ist pure Spinnerei.

Zugegeben, wenn wir am sehr frühen Morgen hinausblicken auf das graue, weite Wasser, dann überkommt uns schon auch mal leichtes Befremden. Zu groß, zu viel, zu weit ist dieses Meer. Eine Menge Wasser. Und so gar nicht zu fassen. Ein Berg ist erstiegen, wenn wir auf dem Gipfel stehen. Dann kommt der nächste, man kann sie abhaken. Mit dem Meer aber werden wir nie fertig. Hinterm Horizont geht’s weiter. Und weiter. Und immer weiter.

Und, ja: Eine leichte Unsicherheit schwingt stets mit, wenn wir am Meer sind. Denn auf dieses Meer ist kein Verlass. Greifen einmal keine Haie im hüfthohen Wasser an, treiben sicher Quallen in die Bucht. Und vielleicht lauert er ja tatsächlich da draußen, der mörderische „Schwarm“, den Frank Schätzing auf die Welt losgelassen hat. An unseren Strandabschnitt kommt er natürlich nicht. Doch das glaubten wir auch von rebellischen Fluten. Bis wir das Wort „Tsunami“ nachschlagen mussten.

Ein Monster ist dieses Meer, das sich den Bauch vollgeschlagen hat mit Unsäglichem: Seeschlangen, Wasserleichen, Plastiknetze, Torpedos, Teer. Und jederzeit ist es bereit, das eine oder andere auszukotzen. Es ist zu fremd, dieses Meer. Zu sprunghaft. Zu undurchsichtig. Es gibt Gründe über Gründe, sich fernzuhalten von jeder Küste.

Die Wiege des Lebens

Und doch: Es ist immer wieder auch tröstlich, ans Meer zurückzukehren. Hier sind wir, wo wir hingehören. Von hier kamen wir, hier ist die Wiege des Lebens. Das Schwappen der Wellen begleitet uns wie ein sanfter Herzschlag, der Kreislauf der Gezeiten ist der Kreislauf des Daseins. Das Meer erinnert uns, dass wir noch teilnehmen. Wenn das Meer nicht mehr atmet, weiß keiner mehr, dass es uns gab.

Ach, dieses Meer. Es hat soviel kommen und gehen sehen, sagen wir. Es ist ein Versprechen auf steten Wandel. Und zugleich unsere Hoffnung auf Ewigkeit. Wie unbedeutend wir sind, neben dem Millionen Jahre alten Tosen.

Das Meer ist Grab, Whirlpool, Schatzkammer – und es hat uns menschliche Schwachköpfe jahrhundertelang dazu verführt, bibliothekenweise sentimentales Zeug abzusondern. Warum kommt man nicht ohne Pathos aus, wenn man vom Meer redet? La Paloma, oje.

Schluss damit. Noch einen Mojito! Gleich geht sie unter, die Sonne. Schickt wieder dieses kupferne Leuchten herüber. Hämmert Millionen von Goldplättchen aufs Wasser wie einen glitzernden Panzer.

Ach, Mensch. Es macht uns fertig, das Meer.

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