Kolumne Habibitus: Gib ihnen Schelle

Nach Charlottesville diskutieren alle über Neonazis, dabei müsste die Frage ein Dauerbrenner sein. Doch was ist der beste Umgang?

Weiße Männer sehen mit Fackeln in der Dunkelheit

Nationalisten und Rechtsextremisten marschieren am 11. September 2017 in Charlottesville Foto: dpa

Seit dem rassistischen Terroranschlag in Char­lottes­ville wird wieder prominent diskutiert: Wie umgehen mit Neonazis? Diese Frage sollte Dauerbrenner sein. Aber da einige Teile der Bevölkerung nicht permanent wegen Neonazis um ihre Existenz fürchten müssen, wird lieber über den letzten „Tatort“ oder angezündete Autos gesprochen.

So sind viele Leute immer noch davon überzeugt, dass der beste Umgang mit Neonazis (und Nazis) der Dialog sei. Ich weiß nicht, ob sie sich mit Geschichte auseinandergesetzt haben, aber das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, wurde der Nationalsozialismus nicht beendet, weil es innovative Gesprächsformate gab, sondern mit einem Krieg. Wer die Geduld hat, mit Neonazis zu reden und zu versuchen, sie zu überzeugen, soll ruhig sein Glück versuchen – vielleicht klappt es mal.

Das Verurteilen von Menschen, die sich nicht auf dieser Illusion ausruhen, ist aber Haramstufe Rot. Das kommt von den gleichen Leuten, die immer erwarten, dort, wo sie stehen „abgeholt zu werden“, anstatt sich selbstständig mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Ich setze nicht bei allen Leuten den gleichen Wissensstand voraus und erkläre dort, wo es nötig ist, auch gern mal was.

Aber zu viele Leute machen es sich mit ihrem Abholschein gemütlich. Ich bin ich kein Shuttlebus, der Leute von A nach B kutschiert. Vielleicht einfach mal selbst hinlaufen oder ein Taxi nehmen, anstatt darauf zu bauen, dass Leute emotionale Arbeit in Leute reinbuttern, die ihnen am Ende noch mit so Nonsens wie umgekehrtem Rassismus und Sexismus gegen Männer kommen.

White Supremacy ist Terror

Natürlich müssen Neonazis (und Nazis) auf die Fresse kriegen – das steht nicht zur Debatte –, aber damit ist der Job leider nicht erledigt. White Supremacy ist Terror. Aber Weißsein wird nicht erst dann zum Problem, wenn ein Neonazi mit dem Wagen in eine Black-Lives-Matter-Demo reinfährt und Menschen ermordet.

Rassismus passiert auf einer Skala. Ich habe im Netz ein Pyramidenschema gefunden, auf dem Rassismus in aktiv/gesellschaftlich verurteilt und passiv/gesellschaftlich akzeptiert aufgeteilt wird. Der aktive Part ist nur die Spitze des Dreiecks. Darin befindet sich etwa Hasskriminalität, Polizeigewalt oder „Racial Profiling“. Der latente Teil trägt jedoch viel mehr in sich: Hass gegen Migrant_innen, Paternalismus, die Instrumentalisierung von nichtweißen Personen zum Reinwaschen des eigenen Images, kulturelle Aneignung oder das Leugnen weißer Privilegien.

Mordende Neonazis haben eine ganz andere Dimension als Kartoffeln mit Wursthaaren. Aber nur, weil das eine schlimmer ist als das andere, ist das andere nicht okay. Dieses ­Gegeneinanderaufwiegen ist „Silencing“: Solange Schwarze Menschen ermordet werden, gibt es keinen Grund, sich über weniger bedrohliche Zustände zu beschweren. Und: Weiße Leute haben so eine Ausrede, sich nicht mit ihrem Rassismus auseinandersetzen zu müssen, weil sie sich auch einfach von Neonazis abgrenzen können. Aber außer Abgrenzen tun sie halt wenig bis nichts gegen die. Und das ist auch haram.

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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