Kolumne Habibitus: Deine Mudda ist born this way

Glitzer und Regenbogenfähnchen beiseite, ein Großteil der Gay-Rhetorik ist einfach schlimm. Wozu also auf den CSD gehen?

Eine Person mit türkisfarbenen Haar steht vor einer großen Regenbogenfahne

Gay Pride in Lissabon: Mit bunten Fahnen winken und Heten zulächeln Foto: dpa

Ich muss elf Jahre alt gewesen sein, als ich auf dem ersten CSD war. Es war an einem sonnigen August-Samstag in Hamburg. Mit dabei hatte ich weder eine Regenbogenflagge, noch einen asymmetrischen Haarschnitt, sondern meine Eltern, die mich an die Hand nahmen und mich so weit wie möglich von der Pride-Parade wegzogen.

Sie wollten dort gar nicht sein, sie wollten einfach nur in die unterste Etage von Karstadt, wo es Markenware zu Sonderpreisen gab. Auf dem Weg zur Toilette des Kaufhauses traf ich zwei Drag Queens. Ich dachte im Vorbeigehen: „Komisch, ich wusste gar nicht, dass auf dieser Love Parade so viele Schwule sind.“

Dreizehn Jahre später kenne ich mich mit Techno und LGBTQIA*-Realitäten etwas besser aus. Mit letzteren ziemlich gut sogar, ich habe da diesen Probemonat mit einem der Buchstaben gemacht, dann gleich ein Abo abgeschlossen. Das coole daran: Ich konnte zwischendurch auch den Buchstaben wechseln und noch weitere hinzubuchen. 9 of 10 would recommend.

Im Starter-Pack war allerdings nicht unbedingt alles enthalten, was die Erfahrung in die angenehmste Form adjustiert. Die Albensammlung der Band „Tegan and Sara“ zum Beispiel musste ich mir komplett selber herunterladen. Noch schlimmer: Ich musste sogar erst mal herausfinden, dass es sie gibt.

Google-Bildersuche-Recherche

Und dass die Qualität der Musik nachlässt wusste ich vorher auch nicht. Oder Frisuren! Ich habe die meisten stereotypen Alternative-Lifestyle-Haarschnitte ausprobiert, die ich vorher via Google-Bildersuche recherchieren musste.

Vielleicht es aber auch okay, dass es keine Anleitung gab, weil es viele Arten gibt, LGBTQIA* zu sein. Ich bin auch froh, dass ich die Custom-Einstellungen machen konnte und keine vorgefertigte.

Auf einem CSD war ich zum Beispiel trotzdem noch nie so richtig und wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nicht, ob ich das ändern möchte.

Sichtbarkeit schön und gut, aber bin ich wirklich stolz auf Gentrifizierung, Homonationalismus, Pinkwashing, der Inszenierung von Community, Misogynie, anti-muslimischen Rassismus oder die kapitalistische Vereinnahmung und die Überschreibung von ursprünglichem Widerstand gegen Polizeigewalt und Transfeindlichkeit? Denn für all das steht für mich der CSD heute. So viel anderes habe ich davon gar nicht.

Zurückwinkende Heten

Mit bunten Fahnen oder Federboas winken und mit etwas Glück zurückwinkenden Heten vom Straßenrand zulächeln, das wird mir gewährt.

Aber existenzielle Bedrohungen von LGBTQIA* – insbesondere transfemininen, armen oder rassifizierten – ernst zu nehmen anstatt Gewalt an uns für rassistische Propaganda zu instrumentalisieren, rechtliche Diskriminierungen aus dem Gesetz zu bügeln oder einfach mal zu kapieren, dass all diese verschiedenen Realitäten unter diesem Schirmbegriff eigentlich viel mehr Platz bräuchten? Diese Forderungen sind offenbar zu wild.

Stattdessen packen Heten gerne die entmenschlichende „Die können ja nichts dafür“-Rhetorik auf den Tisch, als täten sie anderen einen Gefallen damit.

Sind Abweichungen von hetero- und cisnormativen Geschlechter- und Begehrensmodellen also nur dann akzeptabel, wenn sie wie eine Krankheit angeboren sind und quasi nicht in der Macht der Betroffenen liegen?

Opferrolle

Sollten Menschen nicht eher für ihre Entscheidungen respektiert werden, anstatt von der Dominanzgesellschaft in die Opferrolle der hilfsbedürftigen Homos und exotischen Transpersonen gepresst zu werden?

Was im Queerdo-Starter-Pack allerdings definitiv fehlt ist eine Funktion, die das Dating-Portal OkCupid bietet: Die Einstellung, Heten weder zu sehen, noch von ihnen gesehen zu werden. Dann erübrigt sich auch das fragwürdige Konzept des Gaydars.

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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