Kolumne Dumme weiße Männer: Wo bleibt dein Aufschrei, Jens Spahn?

Nach Köln haben mächtige weiße Männer ziemlich viel Quatsch zu Gesetzen gemacht. Mehr Sicherheit für Frauen war aber nicht dabei.

Ein weißer Mann mit Brille reißt den Mund weit auf

Jens Spahn schreit für Frauenrechte. Foto: dpa

Weiße Männer sind ja bekannt dafür, die Welt mit großer Konsequenz, Vernunft und Systematik zum Besseren zu verändern. Und da ist es auch keine Überraschung, dass Jens Spahn, Präsidiumsmitglied und Bundestagsabgeordneter der CDU, ein Prachtexemplar dieser Spezies ist. „Wo ist eigentlich der Aufschrei, wenn es wirklich einen braucht?“, twitterte er am frühen Morgen des 5. Januar. „Bei Dirndlwitzen lautstarke Helden überall, jetzt aber betretenes Schweigen.“

Es ging um die vielen sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln. Am Tag davor hatte die Kölner Polizei auf einer Pressemitteilung das große Ausmaß der Taten bekannt gegeben. Seitdem gibt Spahn keine Ruhe. Unermüdlich kämpfte er darum, dass das deutsche Sexualstrafrecht umfassend modernisiert wird und Deutschland seiner Pflicht nachkommt, die Istanbul-Konvention in Gesetze einzuarbeiten und damit „Nein heißt nein“ zum Standard zu machen.

Es kann auch sein, dass Spahn nur einmal einen wohlfeilen Tweet absetzte, sich an der ausgelösten Empörung ergötzte und sich ansonsten nicht weiter für Dirndlwitze oder sexualisierte Gewalt interessierte. Das Sexualstrafrecht wird von Justizminister Heiko Maas, einem weißen Mann aus der SPD, jedenfalls nur mäßig reformiert.

Mehr Engagement entwickelte Spahn dagegen in der Frage, wie man mit ausländischen Straftätern umgehen sollte: nordafrikanische Länder müssten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, forderte er, und erzählte in Talkshows viel darüber, wie das Frauenbild wohl bei Einwanderern so sei.

Nordafrikanisch oder irgendwie

Diese Priorisierung hatte er nicht alleine: Schon wenige Tage nach dem 5. Januar, als noch gar nicht viel über die Tatverdächtigen von Köln bekannt war, außer, dass sie „arabisch oder nordafrikanisch“ aussahen, forderte Spahns Parteikollege und Innenminister Thomas de Maiziére erleichterte Abschiebungen für Asylsuchende und die CSU, dass Algerien und Marokko sichere Herkunftsländer werden sollten. Klar, wer „nordafrikanisch“ aussieht, ist Flüchtling, zumindest aber Ausländer.

Wie sinnvoll es dabei ist, von einer groben „Aussehensbeschreibung“ auf die tatsächliche Herkunft zu schließen, zeigte sich dann in den Tagen danach, als rechtsextreme weiße Männer in Köln Jagd auf zwei Pakistaner und einen Syrer machten. Und das BKA selbst bewies die Professionalität deutscher Polizisten, als es einen Bericht aus zwölf Bundesländern erstellte, in dem Baden-Württemberg von Tätern mit „arabischem Erscheinungsbild“, Hamburg von „südländischer Erscheinung“, Nordrhein-Westfalen von „augenscheinlichem Migrationshintergrund“ und Hessen sogar von „nordafrikanischem / arabischem / südeuropäischem / osteuropäischem Aussehen“ sprach. Die Männer sahen halt irgendwie aus.

Inzwischen wissen wir mehr: Nämlich, dass zwei Drittel der Tatverdächtigen aus der Kölner Silvesternacht tatsächlich aus Marokko und Algerien kommen und zahlreiche tatsächlich auch Flüchtlinge sind. Recht haben sie gehabt, könnte man nun über die weißen Männer sagen, die in den vergangenen Wochen tatsächlich das Ausweisungsrecht verschärften und die Erklärung von nordafrikanischen Ländern als „sicher“ auf den Weg brachten, bei der Reform des Sexualstrafrechtes aber nicht viel Energie aufmustern konnten.

Doch nur, weil jeder zweite Taschendieb an Bahnhöfen Nordafrikaner ist, ist nicht jeder zweite Nordafrikaner ein Taschendieb. Den empirischen Beweis für diesen einfachen Fehlschluss erbrachte dann die Düsseldorfer Polizei Mitte Januar. Sie kontrollierte bei einer Razzia gegen Kleinkriminalität 300 Menschen, die grob aussahen, als wären sie Nordafrikaner, nahm eine Person wegen mutmaßlicher Hehlerei fest, zeigte eine Person wegen Diebstahl an und eine weitere wegen Betruges. 300 Nordafrikaner kontrolliert, drei mutmaßliche Kleinkriminelle gefunden. Trefferquote: 1%.

Deutschenbonus beim Grabschen

Nun könnte man, wie es vernünftige weiße Männer ja immer tun, sich fragen: Ist es sinnvoll, das Leben vieler echter Flüchtlinge aus Marokko und Algerien schwerer zu machen, nur weil darunter auch jene sind, die Straftaten begehen? Ist es sinnvoll die Strafen für Asylsuchende und Ausländer zu verschärfen, wenn doch die Taten nach wie vor kaum bestraft werden? Denn: Selbst im neuen Sexualstrafrecht bleibt Grabschen immer noch bedingt bestraft und es bleibt die Wertung als Vergewaltigung abhängig davon, ob das Opfer sich körperlich gewehrt hat.

Und nun könnte man sich als vernünftiger weißer Mann, wie es Jens Spahn einer ist, darüber gehörig aufregen. Oder man kann dazu betreten schweigen. Oder, wie es unser Jens tut, bei der Einführung eines Deutschenbonus für Grabschen mitmachen.

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Lalon Sander ist Datenjournalist. Sein Schwerpunkt liegt in der Aufbereitung von Datensätzen zum Klimawandel.

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