Kolumne Der rote Faden: Islamischer Staat erreicht Berlin

Diese Woche: Sämtliche Parteien wollen etwas gegen IS tun, auch mit Waffen. Politische Konzepte fehlen. Und die EU? Hat sich aufgelöst, oder?

Ein Bundeswehrflugzeug fliegt in den Irak. Ob das hilft? Bild: dpa

Das große Thema der deutschen Innenpolitik diese Woche ist die Außenpolitik. Deutschland liefert keine Waffen ins Kriegs- und Krisengebiete. Das ist Grundprinzip, betonte der Regierungsprecher noch am Montag. Daher gibt es viele in der Union, die von weiteren Diskussionen um Waffenlieferungen in den Irak nichts hören wollen. Bei Panzergeschäften mit Saudi-Arabien hatten sie sich offener gezeigt.

Wirtschaftsminister Gabriel attackierte noch am selben Tag: Rein rechtlich wäre es möglich, die irakische Armee mit Waffen zu versorgen, verkündete er. Die irakische Armee? Die, die zweitgrößte Stadt des Irak, Mossul, kampflos den IS (Islamischer Staat)-Truppen überließ und dafür sorgte, dass diese jetzt über hochwertiges amerikanisches Gerät verfügt? Das ist in der Tat kühn. Die USA zumindest planen die kurdische Armee aufzurüsten, von der irakischen Armee war nie die Rede.

Auf diese Linie schwenkte nun auch Gregor Gysi von der Linkspartei ein und sprach sich für die Bewaffnung aus – wohlgemerkt der PKK und der Peschmerga: „Mit Prostestbriefen kann man IS nicht stoppen.“ Er bezog dafür viel Prügel von seiner Partei. Auch seine politischen Gegner sparten nicht mit Häme: die Pazifisten diskutieren Waffenlieferungen? Auch die Grünen finden, dass man IS nicht mit Yogamatten bekämpfen könne... Es sollte eine Woche der flotten Sprüche werden.

Nun wollte sich auch von der Leyen nicht lumpen lassen und vermeldete auf einer hurtig angesetzten Pressekonferenz: Dinge unterhalb der „Waffen-Schwelle“ könne und würde man schnell liefern wollen. Gemeint waren gepanzerte Fahrzeuge aus Bundeswehrbeständen, Minensuchgeräte, ja auch Unscheinbarkeiten wie Helme, Schutzwesten oder Sanitätsmaterial schienen ihr erwähnenswert. Immerhin gäbe es einen bedenkenswerten Grund, die Diskussion um militärische Unterstützung neu zu eröffnen: The responsibility to protect. Die Schutzverantwortung greift dann, wenn es darum geht, einen Völkermord zu verhindern.

Helme für die Schutzverantwortung

Auf einmal hat man also auch im beschaulich selbstverliebten Berlin begriffen, dass mit dem Siegeszug der IS im Irak seit Anfang Juni etwas passiert, dem nicht länger mit der routinierten Ignoranz gegenüber „Unruhen im Nahen Osten“ zu begegnen ist. Zumindest nicht, wenn man es weiter gemütlich haben will.

Und haben die Konservativen nicht auch mehrfach das Begehren formuliert, wieder wer zu sein in der Welt, daher größere militärische Präsenz zeigen zu müssen? Wird es jetzt also ernst, angesichts eines drohenden Genozids an Jeziden und anderen Minderheiten und angesichts des andauernden wie fortschreitenden Massenmords an Syrern und Irakern? Doch was ist das längerfristige politische Konzept?

Davon hört man hierzulande bislang nichts. Der Außenminister fliegt nun „in den Irak“, um sich ein Bild zu machen. Wochen nach der Eskalation. Ob er eine Idee mitbringen wird?

Die Franzosen wollen auch bewaffnen, die Briten ebenso, womöglich sogar die Italiener. Die Nationalstaaten machen ihre Außen- und Interessenspolitik wieder ganz offen ganz alleine. Angesichts der steten Zerstrittenheit in Brüssel mag das pragmatisch sogar richtig sein – aber was heisst das für die Zukunft, wenn angesichts von wirklichen Katastrophen die EU als Instrument nicht mehr genutzt wird? Genauso wenig übrigens wie die UN. Wer die Kurden bewaffnen will, braucht dafür keinen Beschluss des Sicherheitsrates. Eigentlich könnten jetzt viele EU- und UN-Bedienstete für neue Aufgaben gewonnen werden.

Obamas „Horseshit“

Einzig Hillary Clinton durchkreuzt mit ihrer jüngsten Kritik an Obamas Außenpolitik die allgemeine Ideenleere in Sachen Friedensstiftung. Sie leugnet nicht den Zusammenhang zwischen dem internationalen Versagen der Politik in bezug auf Syrien und dem gigantischen Aufstieg des Islamischen Staates, sondern macht ihn zum Thema. In einem Interview mit der Netzzeitung The Atlantique sagte sie: „Es war ein Fehler, die Organisatoren des Protestes gegen Assad nicht dabei zu unterstützen, eine ernstzunehmende Kampftruppe zu bilden (...) Dieser Fehler hat ein großes Vakuum hinterlassen, das die Dschihadisten nun füllen.“ Obama soll diese Kritik intern grob zurückgewiesen haben: „horseshit“.

Ständig fotografieren wir alles und jeden. Den Eiffelturm am Abend, die Freundin in der Seilbahn, die Kinder in der Sandkiste. Und merken nicht, wie uns die Welt hinter all den Bildern abhanden kommt. Arno Franks Geschichte über einen Akt der Selbsterhaltung lesen Sie in der taz.am wochenende vom 16./17. August 2014. Außerdem: Wie der Kokainhandel in Amerika funktioniert. Und: Warum der Schriftsteller Ferdinand von Schirach die Ehe für mörderisch hält. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Außenpolitik betrifft Innenpolitik und umgekehrt – der so beliebte Tunnelblick hat die Welt dahin geführt, wo sie jetzt steht: in zahllose Kriege.

IS ist das Sammelbecken für Dschihadisten weltweit. Mit Militäreinsätzen und Sicherheitspolitik allein wird man ihnen nicht beikommen. Sie müssen auch als soziales Problem gesehen werden. Die Welt ordnet sich seit vielen Jahren neu. Es ist Zeit, darauf professionell und nicht mehr nur populistisch zu reagieren.

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leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

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