Kolumne Darum: Kraul doch mal den Tausendfüßler

Spätestens im Sommerurlaub lernt man: Haustier ist nicht gleich Haustier. Dabei könnten Kinder mit Spinnentieren prima üben.

Der will doch nur spielen. Bild: Imago/Alimdi

Die seit Jahren währende Haustierdebatte – Kinder: unbedingt!, Eltern: auf keinen Fall! – hat im Sommerurlaub eine überraschende Wende erfahren. Plötzlich sagten wir Eltern ja zum Haustier (wenn auch nicht in jedem Fall) und die Kinder wollten auf einmal keine mehr haben. Wie konnte es dazu kommen? Ganz einfach. Im toskanischen Ferienhaus waren die Haustiere schon da. Aus Sicht der Kinder ist Haustier aber nicht gleich Haustier.

Ein kindlicher Merksatz drängt sich auf: Vogel, Katz und Hund sollen ins Haus. Weberknecht, Spinne und Tausendfüßler müssen raus. Das ist in einem alten Bauernhaus aber nicht so einfach. Fegt man einen der Krabbler weg, sitzen woanders schon zwei neue. Wo es heiß wird, suchen auch Sechs-, Acht- und So-Genau-Kann-Das-Eh-Keiner-Zählen-Beiner gern den Schatten und die Kühle innerhalb eines alten Gemäuers.

Nützlich sind zumindest Spinnen und Weberknechte in einer Mückenregion auch. Aber was bringt noch das beste Argument, wenn zwei Kinder anderer Meinung und sich außerdem einig sind. Also: Besen her, Krabbler weg. Mehr Krabbler da, noch mehr Besen her, ein schier endloses Gerenne, Gefege usw. Bis auf eine Maus, an der sich außer den Vorräten niemand störte, war am Ende des Urlaubs alles vertrieben oder blieb gut versteckt. Und das war falsch.

Wir hätten hart bleiben müssen. Wir hätten sagen können: Haustier ist Haustier, zeigt uns, wie gut ihr mit der Situation klarkommt, dann lassen wir mit uns in Berlin über Vogel, Katz und Hund reden. Wir haben eine historische Chance versäumt, die Kinder zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Haustieren zu erziehen.

Mit Spinnen Gassi gehen

Was hätten die Kinder alles lernen können. Morgens um sieben übermüdet und lustlos mit einer quengelnden Hausspinne Gassi zu gehen, dabei die Spinnenfäkalien in einem Tütchen zu sammeln und das Tier von Rangeleien mit anderen Achtbeinern abzuhalten. Und ihnen danach geduldig den Unterschied zwischen „Sitz!“ und „Platz!“ beibringen.

Oder der Weberknecht. Wenn der nicht wenigstens einmal am Tag fliegen kann, ist er unglücklich und wird nicht alt. Regelmäßig Futter und Wasser braucht er, gutes Zureden, ebenso eine Schaukel, ein Glöckchen und am besten noch Gesellschaft in einem nicht zu kleinen Käfig.

Tausendfüßler wiederum, diese eleganten und eigensinnigen Wesen, mögen es gern, am Hals gekrault und gelegentlich mit einem kleinen Ball oder Schlüssel unterhalten zu werden. Klar, es ist eklig ihnen das recht streng riechende Dosenfutter zu öffnen und zu kredenzen. Aber wenn man es nur oft genug macht, vergeht der Ekel im Nu. Der Morgenspaziergang mit der Spinne wird zum Spaß. Der Weberknecht lässt immer öfter seinen hübschen Gesang ertönen, wird irgendwann zahm und frisst die Körnchen von der Hand.

Wir aber meinten, der Wunsch der Kinder, ohne Tiere im Ferienhaus zu leben, sei zu erfüllen und haben es doch nur versaut. Sollten wir in unserer unendlichen Güte zu Hause irgendwann mal einen Hund, eine Katze oder einen Vogel anschaffen, wird uns fortan die Angst begleiten, die Tiere womöglich noch am gleichen Tag aus dem Haus fegen zu müssen.

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Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.

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