Kolumne Cannes Cannes: Listen, die sich sehenlassen können

Sofia Coppola, Michael Haneke, Fatih Akin und „Twin Peaks“: Die 70. Filmfestspiele von Cannes wecken reichlich Vorfreude.

Ein Mann läuft an einem Plakat für die Festspiele von Cannes vorbei

Es geht wieder los: Zum 70. Mal starten die internationalen Filmfestspiele im südfranzösischen Cannes Foto: reuters

CANNES taz | Soll man über Cannes schreiben? Die Frage stellt sich in dieser Form eigentlich nicht so recht. Wenn man hinfährt, gilt vielmehr, streng nach Kant: Man kann, denn man soll. Und will. Mehr als zehn Tage Dauerbestrahlung durch Filme am Stück erfordern schon des psychischen Gleichgewichts halber, dass dem Sehen in regelmäßigen Abständen ein Tippen folgt, in dem die ganzen optischen Eindrücke mit den Fingern zumindest im Ansatz verarbeitet und sortiert werden.

Bei der 70. Ausgabe der Filmfestspiele von Cannes, die am heutigen Mittwoch mit dem außer Konkurrenz gezeigten Spielfilm „Les Fantômes d’Ismaël“ des Franzosen Arnaud Desplechin eröffnet werden, kommt einiges an Vorfreude hinzu. Vieles von dem, was auf dem Programm steht, gibt Anlass zu hohen Erwartungen. So kann man allein beim Wettbewerb fast beliebig hineingreifen und ziemlich sichergehen, dass man etwas Interessantes erwischt. Für die Jury unter Leitung des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar könnte es eine schwierige Wahl werden, wenn es am 28. Mai ans Verteilen der Preise geht.

Unter den Konkurrenten um die Goldene Palme macht zum Beispiel die US-amerikanische Regisseurin Sofia Coppola mit ihrem Bürgerkriegsdrama „The Beguiled“ neugierig, einer Literaturverfilmung, mit der sie dem Vorbild des Thriller-Virtuosen Don Siegel folgt: Dieser hatte den Stoff 1971 schon einmal verfilmt. Unter den Bewerbern aus Deutschland dann richten sich die Augen besonders auf Michael Ha­ne­ke, der ­inzwischen zum siebten Mal Aussicht auf eine Palme hat. Sein französisch-deutsch-österreichischer Film „Happy End“ mit Isabelle Huppert und Jean-Louis Trintignant greift Fragen von Flucht und Migration auf. Ebenfalls aus Deutschland ist Fatih Akin zum zweiten Mal im Wettbewerb, in „Aus dem Nichts“ konfrontiert er seine Hauptdarstellerin Diane Kruger mit Neonaziterror.

Auch aus Südkorea kann man gleich zwei Regisseure im Wettbewerb begrüßen: Hong Sang-soo, der eben erst im Berlinale-Wettbewerb angetreten war, bietet diesmal den Schwarzweißfilm „The Day After“. Von ihm läuft zudem außer Konkurrenz „Claire’s Camera“, seine zweite Zusammenarbeit mit Isabelle ­Huppert. Hongs Landsmann Bong Joon-ho, der zuletzt mit seinem Science-­Fiction-Apokalypse-Spektakel „Snowpiercer“ von 2013 für Begeisterung sorgte, legt jetzt die Netflix-Produktion „Okja“ nach, eine Actiongeschichte rund um ein kleines Mädchen und ein riesenhaftes Tier, in der Tilda Swinton als finstere Konzernchefin zu erleben ist.

Die Liste ließe sich großzügig erweitern, doch sollen darüber die Nebenreihen nicht außen vor bleiben. So läuft vom japanischen Krawallmeister Takashi Miike die Manga-Verfilmung „Blade of the Immortal“ außer Konkurrenz, desgleichen der französische Altmeister André Téchiné mit der Roaring-Twenties-Erzählung „Nos années ­folles“, und, als großer Coup, die ersten beiden Episoden von David Lynchs neuer Staffel von „Twin Peaks“, der Mutter aller Serien als anspruchsvolle Großerzählung, mit der Originalbesetzung, bloß älter. Die Neuseeländerin Jane Campion tut es ihm gleich und präsentiert die Fortsetzung ihrer Miniserie „Top of the Lake“ – gezeigt werden sämtliche sechs Folgen.

Regisseurinnen sind ansonsten wieder nicht in der Mehrheit, doch gibt es etwa in der Reihe „Un certain regard“ den dritten Spielfilm der Berliner Filmemacherin Valeska Grisebach zu sehen: „Western“ erzählt von den Abenteuern deutscher Bauarbeiter in Bulgarien. Ihre französische Kollegin Claire Denis eröffnet die Reihe Quinzaine des Réalisateurs mit dem Drama „Un beau soleil intérieur“ und Juliette Binoche als Hauptdarstellerin. Die gute Nachricht: Auch diese Liste ließe sich fortsetzen.

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Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.

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