Kolumne Bestellen und Versenden: Aufstand gegen die Anständigen

Der österreichische Philosoph Robert Pfaller findet die Geschlechterverhältnisse vermiest. Er hätte gern die elegante Dame wieder. Küss die Hand.

Beim Opernball sind die Geschlechterverhältnisse noch entspannt und galant und nicht durch die Emanzen vermiest und formalisiert. Bild: dpa

Mit zu den unangenehmsten Anrufungen gehört der Satz „Mach dich mal locker“. Man kennt ihn nicht zuletzt aus Bürosituationen. Der österreichische Philosoph Robert Pfaller beschreibt dieses „Überschreitungsgebot“ in seinem Buch „Wofür es sich zu leben lohnt“ an einem Beispiel: So muss, „wenn ein Kollege in der Firma Geburtstag hat, genau das getan werden, was sonst untersagt ist: Man muss die Arbeit niederlegen und mit dem Jubilar ein Glas Sekt trinken.“

Pfaller nennt diesen Akt das „schmutzige Heilige“ und meint, dass wir zu unserem Glück gezwungen werden müssten, weil wir das Genießen verlernt hätten. Lebenswerte Dinge wie Rauchen und Alkoholtrinken würden heute als bedrohlich wahrgenommen, im Sinne der „völlig fraglos verabsolutierten Prinzipien wie Gesundheit, Sicherheit, Nachhaltigkeit und – vor allem – Kosteneffizienz“, so Pfaller. An die Stelle von Spiel, Spaß und mondäner Eleganz ist nach seiner Diagnose eine kleingeistige Vernünftigkeit getreten, die das Leben kontrolliert und korrigiert.

Die Feier hingegen, so Pfaller, „gebietet die ’Überschreitung‘ in dem von Georges Bataille präzise erkannten Sinn“. Kein Wunder also, dass inzwischen schon der Bugatti-Vitesse-Tester im Handelsblatt Pfaller als Kronzeuge für seinen Geschwindigkeitsrausch zitiert. Machen wir uns locker für die Ökonomie der Verschwendung: mit Bataille gegen Rauchverbot und Tempolimit!

Robert Pfaller wird nicht nur von Mainstreammedien, sondern auch in linksakademischen Kreisen hofiert – wohl weil er gefällig mit der Sprache der Neoliberalismus- und Biopolitikkritik hantiert und sich zum Beispiel gegen soziale Spaltung und Bologna-Reform positioniert. Vorletztes Wochenende nun offenbarte sich die Fragwürdigkeit seiner Vernunftkritik in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Hier äußerte sich Pfallers Klage über zu viel Kontrolle in einer nostalgischen Sehnsucht nach völlig unironisch ausgelebten „Mad Men“-Verhältnissen.

Irrwege der Emanzipation

Pfaller zu Brüderle und Sexismusdebatte: „Wir haben es fertig gebracht, uns innerhalb weniger Jahrzehnte die Geschlechterverhältnisse völlig zu vermiesen.“ Statt falscher Vorsicht sei es doch viel besser, „einer Frau den Status einer Dame anzuerkennen“. Dann könne die sich bei blöder Anmache mit der Handtasche wehren, was ihr wegen ihrer emanzipierten Rolle heute nicht mehr möglich sei.

Die alte Klage über die Irrwege der Emanzipation, Pfaller fasst sie euphemistisch: „Ich würde sagen, Befreiung ist überhaupt nur, wenn es keinen Verzicht gibt. Eine Kultur, die einen bestimmten erotischen Umgang als Normalton im Alltag gutheißt, wäre wesentlich gefeiter vor solchen obszönen Entgleisungen.“ Soll heißen: Entspannt euch mal, ihr feministisch verspannten Mädels, lasst euch ein auf die männliche Galanterie, dann habt ihr nichts zu befürchten. Küss die Hand, schöne Frau!

Selbstredend kommen in Pfallers Austrosexismus Männer, die Dame spielen wollen, nicht vor, auch bleibt unklar, wem die ökonomischen Ressourcen zur Damen-Rolle überhaupt zur Verfügung stehen. Vor allem verkennt der Gender-Nostalgiker, dass traditionelle Umgangsformen traditionelle Hierarchien festigen, in denen dann die „Dame“ für das Andere steht.

Den Hauptwiderspruch exhumieren

Da wundert es nicht, dass Pfaller in seinem FAS-Interview die Uraltlogik des Nebenwiderspruchs aufruft und kopfschüttelnd kritisiert, dass in Zeiten, in denen die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, ein Streit Frauen gegen Männer „angezettelt“ würde. Man kennt diese perfide Argumentation von Slavoj Zizek, dem Pfaller in vielerlei Hinsicht nacheifert. Anstatt uns manisch um identitätspolitischen Kleinkram zu kümmern, sollen wir besser mal blicken, was wirklich Sache ist, und den ökonomischen Hauptwiderspruch als solchen anerkennen.

Trotz linker Blinkzeichen taugt Robert Pfaller zum Sprachrohr für all die konservativen Libertins mit aufgeknöpftem Hemd, die in letzter Zeit gegen Gängelei und Tugendterror wettern. Denn Pfaller will alles immer schön intensiv haben, Künstler zum Beispiel sind für ihn erst dann wahrhaftig, wenn sie ihre bürgerliche Existenz oder ihre Gesundheit ruinieren. Sein Aufstand gegen die Anständigen passt so zum aktuellen Hype um die Berliner Transgressionen von Iggy und Bowie. Humorlos muss da klingen, wer Pfallers Überschreitungspathos grundsätzlich dubios findet: Warum eigentlich hat das wahre Genießen schmutzig und gefährlich zu sein? Auch eine biopolitisch optimierte und nikotinfreie Fahrradtour kann das Leben schön machen.

Obwohl, stimmt ja, es gibt da ja noch die Damen! Und der Mann weiß, dass denen mit reiner Vernunft nicht beizukommen ist.

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Politikwissenschaftler, seit 2022 Referatsleiter im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Autor für verschiedene Publikationen. Er schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither freier taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik.

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