Kolumne Besser: Im Zweifel deutsch

Grass, Sarrazin, Augstein: Wie man immer tiefer in die Scheiße rutscht und trotzdem den Beifall eines Millionenpublikums bekommt.

Wenn es um Israel geht, sind die deutschen Medien nicht etwa, wie der Großdichter Günter kürzlich meinte, gleichgeschaltet, sie sind nur gleichgerichtet.

Anders gerichtet sind nur die Nazipostille Deutsche Stimme, der Leitartikler der spätstalinistischen jungen Welt und eben der Mann, der am Sonntagabend mit dieser Erkenntnis bei Günther Jauch aufwartete: Jakob Augstein, Minderheitsgesellschafter des Spiegel, Gutsherr des Freitag und nebenher – weil nicht genug Leser nach der Meinung seines „Meinungsmediums“ fragen – Kolumnist bei Spiegel Online.

Schon vor der Jauch-Sendung sprang Augstein in seiner Kolumne „Im Zweifel links“ für den Großdichter in die Bresche: „Grass ist weder Antisemit noch ein deutscher Geschichtszombie.“ Zwar wusste er für diesen Befund nichts vorzutragen, das man als Argument hätte durchgehen lassen können, aber das brauchte er auch nicht. Denn in Deutschland gibt es zwar, wie alle wissen und schlimm finden, Antisemitismus, es gibt aber keine Antisemiten.

Und wenn, dann verstecken sie sich irgendwo in Zwickau und in Neukölln oder sie schreiben das Internet voll, auf keinen Fall aber halten sie Reden in der Paulskirche, sitzen sie im Bundestag oder sind sie Träger des Literaturnobelpreises.

Ein schrecklicher Verdacht über Hitler

Das meinen auch viele derer, die für Grass nichts übrig haben – ob aus Naivität oder Denkfaulheit, jedenfalls in der irrtümlichen Annahme, dass Antisemitismus und eine bestimmte Form der Kritik an Israel zweierlei Dinge seien, dass in der westlichen Welt der heutige Antisemit genauso aussehe wie der vor 1945; kurz: dass nur der Antisemit ist, der es auch sein will.

Die Titanic hat dieses Phänomen vor zehn Jahren, es war zum Höhepunkt der Möllemann-Debatte, in wunderbarer Weise auf den Punkt gebracht: „Schrecklicher Verdacht: War Hitler Antisemit?“

Erst recht lässt Augstein den Verdacht erst gar nicht aufkommen, dass ein ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS, der die Deutschen zu „Überlebenden“ umdichtet, dem Staat Israel vorwirft, ein anderes Volk auslöschen zu wollen, sich selbst zum Opfer einer Meinungsdiktatur stilisiert, und der, wie Klaus Bittermann in der Jungle World aufgezeigt hat, schon früher den Juden die Meinung gegeigt hat, dass so einer also ein Problem mit den Juden haben könnte. Dafür versucht Augstein, den gröbsten Unfug in dem Gedicht, das keines ist, zu korrigieren: „Die Auslöschung des iranischen Volks, vor der er [Grass] warnt, steht nicht auf der israelischen Agenda.“

Niemand hat die Absicht, irgendwen auszulöschen

Denn Augstein weiß, dass niemand die Absicht hat, irgendwen auszulöschen; die israelische Regierung nicht den Iran und das Mullah-Regime nicht Israel. Als bei Jauch das Gespräch auf die Vernichtungsphantasien des Mahmud Ahmadinedschad kam, rief Augstein: „Das hat er nicht gesagt!“, und vielleicht weiß er es wirklich nicht, dass der iranische Präsident wie Revolutionsführer Ali Chamenei nur zu oft die Auslöschung des „zionistischen Gebildes“ verkündet haben, als dass man sich mit angeblichen Übersetzungsfehlern aus der Affäre ziehen könnte.

Nicht nur die Sache mit dem angeblich falschen Zitat erinnert, Alan Posener hat in der Welt darauf hingewiesen, an jene Debatte, die vor einiger Zeit ein anderer deutscher Großdenker namens Thilo Sarrazin angezettelt hat: Man kommt in auflagenstarken Blättern zu Wort und kriegt mehr Fernsehmikrofone vor die Nase gehalten, als es noch der selbstverliebtesten Betriebsnudel lieb sein kann, klagt aber darüber, dass die Medien gleichgeschaltet seien.

Man spricht über Dinge, die dauernd Thema sind (die israelische Politik, die Probleme der Einwanderer), fabuliert aber von „Tabus“, die es im Namen einer schweigenden Mehrheit zu brechen gelte. Man antizipiert alle Einwände und diskreditiert sie sogleich. (Wo die Keule früher zum Atze gehörte, ist sie seit Walser vom Wort Antisemitismus kaum noch wegzudenken; seit Sarrazin verhält es sich mit dem Wort Rassismus ähnlich.)

Immer tiefer in die Scheiße

Außerdem: Es finden sich ein paar Schlaumeier, die die gröbsten Patzer zurechtrücken, um hernach allen ressentimentgeladenen Schwachsinn als „Einschnitt“ (Augstein über Grass) zu feiern. Man schwelgt als „Angehörige des einzigen Volks, das in der jüngeren Geschichte den ernsthaften Versuch unternommen hat, ein anderes Volk 'auszulöschen' und 'abzuschaffen'“ (Alan Posener) in morbiden Untergangsphantasien.

Und man rutscht beim Versuch, die Scheiße von sich zu wischen, immer tiefer in den braunen Dreck – so wie Augstein bei Jauch: „Deutsche Verbrechen werden kein Stück besser, wenn Israel jetzt seinerseits Verbrechen begeht.“ Nein, die deutschen Verbrechen werden nicht besser, sie werden nur unbedeutender, austauschbarer, wenn Israel sich selbst verteidigt.

***

Besser: Wenn Augstein links ist, Dirk Niebel aber als Stimme der Vernunft spricht, ist man besser irgendetwas anderes. Doch zum Glück sind Grass und Augstein nur ein bisschen links, vor allem aber sind sie so Brot wie deutsch.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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