Koalitionsvertrag Baden-Württemberg: Die Zukunft der Kiwi

Der Koalitionsvertrag steht: Die Grünen haben sich auf vielen Feldern durchgesetzt, die CDU darf auf mehr Polizisten verweisen.

Thomas Strobl und Winfried Kretschmann gehen eine Treppe hoch

Geht es jetzt wirklich bergauf? Foto: dpa

STUTTGART taz | Die bundesweite erste Regierung, in der die Union die zweite Geige hinter den Grünen spielt, steht. Der am Montag vorgestellte baden-württembergische Koalitionsvertrag beweist, dass die CDU-Wahlverlierer in ihrem Bemühen, zentrale Reformen der grün-roten Landesregierung zurückzudrehen, auf ganzer Linie gescheitert sind. Dennoch spricht der alte und neue Ministerpräsident, Winfried Kretschmann (Grüne), von einer neuen „bürgerlichen Koalition“, die mehr sein wolle und mehr leisten müsse als eine Zusammenarbeit auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Die 140 Seiten Arbeitsgrundlage für die kommenden fünf Jahre strotzen allerdings von vielen warmen Worten. Beispiel gefällig? „Insgesamt betrachten wir die fruchtbare Verbindung von Nachhaltigkeit und Innovation als eines unserer zentralen gemeinsamen Projekte“, heißt es da etwa.

Im Vergleich dazu in Stein gemeißelt – Kretschmann hat das Bild von einer mit Mörtel befestigten Trockenmauer eingeführt – sind die Leitlinien in der Bildungspolitik. Fünf Jahre lang hatte die Landes-CDU die neue Gemeinschaftsschule schlechtgeredet. Doch die Grünen waren ganz und gar nicht bereit, sich die Reformschule abhandeln zu lassen – und setzten sich durch, wie sie überhaupt in der Gesamtbilanz dieses wochenlangen Tauziehens einen Punktsieg für sich verbuchen können.

Für das zweite zentrale CDU-Wahlversprechen, die flächendeckende Wahlfreiheit zwischen einem acht- und neunjährigen Gymnasium nach hessischem Vorbild, fehlen die Mittel. So bleibt es als Regel bei der achtjährigen Oberstufe. Das von der Union favorisierte Familiengeld, das jenen Eltern zugute kommen sollte, die ihre Kinder lieber daheim betreuen, wurde ins Gegenteil verkehrt: Jetzt gibt es 75 Euro monatlich für diejenigen, die ihr Kind im letzten Jahr vor dem Schuleintritt in den Kindergarten gehen lassen.

Ärger mit der Basis

Winfried Kretschmann ist keiner, der zu triumphalen Auftritten neigt. Eher im Gegenteil: Sein Team hatte den landespolitisch unerfahrenen CDU-Verhandlern mit Thomas Strobl an der Spitze sogar Formulierungshilfen für Auskünfte auf dem verminten Feld der Bildungspolitik mit auf den Weg gegeben. Strobl verzichtete dankend und löste mit ungeschickten öffentlichen Formulierungen prompt Ärger an seiner Basis aus.

Als der designierte Vizeministerpräsident dann am Montag auf die eigenen Duftmarken im Koalitionsvertrag angesprochen wurde, konnte Thomas Strobl vor allem auf die 1.500 neuen Stellen bei der Polizei verweisen. Wurde hingegen Landesvater Kretschmann nach seinen Verhandlungserfolgen gefragt, dann übte der sich in Zurückhaltung, redete nicht über Windenergie und Integration, nicht darüber, dass er auch seine Staatsrätin für Zivilgesellschaft, Gisela Erler, behält. Stattdessen betonte Kretschmann die geplanten Schnellwege für Elektroräder als Leuchtturmprojekt. Und der Ministerpräsident lobte die gemeinsamen christlichen Werte nach dem Motto: Die bemüht gute Stimmung wird ohnehin noch schnell genug getrübt.

In ihrem Landtagswahlprogramm thematisierten die Grünen die Modernisierung Baden-Württembergs, im Landbau und im Umgang mit Transgender – ein Begriff, den sich die CDU im Koalitionsvertrag verbeten hat –, in der Finanzpolitik, im Klimaschutz oder bei der Bürgerbeteiligung. Nach Lektüre der 138 Seiten mit dem nach Werbeagentur klingenden Titel „Verlässlich. Nachhaltig. Innovation“ ist eines der größten Modernisierungsversprechen die Ressortverteilung. Denn die CDU wird im Bildungsministerium schnell mit den wirklichen Herausforderungen – demografischer Wandel und Zuwanderung – konfrontiert werden. Und der oder die Agrarministerin – wird anerkennen müssen, dass mehr Öko nicht des Teufels ist, sondern unter anderem ein zentraler Bestandteil der gegenwärtigen EU-Förderpolitik.

„Ich glaube, wir haben’s gut gemacht“, sagt Thomas Strobl dennoch zu Winfried Kretschmann beim Handschlag für die Kameras. „Wir werden es gut machen müssen“, korrigiert der Grüne.

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