Koalitionsstreit in Österreich: Politik über alles

Für FPÖ-Innenminister Herbert Kickl hat Recht der Politik zu folgen, vor allem bei Abschiebungen. Das sieht der Koalitionspartner ÖVP anders.

"Kickl muss weg!", steht auf dem Plakat. Demonstration m vergangenen November in Wiengegen den FPÖ-Innenminister nister

Demonstration gegen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl im November 2018 in Wien Foto: reuters

WIEN taz | Es ist der erste öffentliche ausgetragene Streit dieser so um Harmonie bemühten österreichischen Koalition. Burgenlands Landeshauptmann-Stellvertreter Hans Tschürz (FPÖ) forderte wegen parteipolitischer Attacken den Rücktritt von Justizminister Josef Moser (ÖVP). Dieser hatte vor dem Parlament eine Selbstverständlichkeit artikuliert: Die Politik habe „dem Recht zu folgen“, nicht umgekehrt.

Tschürz befindet sich in seinem Bundesland zwar in einer Koalition mit der SPÖ und hat auf Bundesebene wenig zu sagen, doch sein Aufbegehren macht deutlich, wo die Trennlinien zwischen der konservativen ÖVP unter Kanzler Sebastian Kurz und der populistisch nationalkonservativen FPÖ liegen.

Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als das Rechtsstaatsverständnis. Im TV-Magazin Report hatte Innenminister Herbert Kickl am 22. Januar die inzwischen legendären Worte gesprochen: „Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht“.

Das war im Zusammenhang mit der geplanten Abschiebung von abgelehnten Asylwerbern und sogar Asylberechtigten in Bürgerkriegsländer eine Attacke auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Dieses Basisdokument des europäischen Zusammenlebens hält Kickl für „irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen“, die „teilweise viele, viele Jahre alt aus ganz anderen Situationen heraus entstanden“ seien.

Klärendes Gespräch

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zitierte den Minister umgehend zu einem „klärenden Gespräch“, bei dem er ihm klar machte, dass die EMRK in Österreich Verfassungsrang habe. Ohne Austritt aus der EU könne sich Österreich gar nicht von der rechtlichen Verbindlichkeit der Konvention verabschieden, gaben Völkerrechtler zu bedenken.

Selbst der Bundeskanzler, der sich eine hohe Toleranzschwelle gegenüber Provokationen des Koalitionspartners antrainiert hat, sah sich zu einer Wortmeldung genötigt. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, wo er sich wieder einmal den Niederungen der Innenpolitik zu entziehen trachtete, musste Sebastian Kurz zum Telefon greifen. Wenig später ruderte Kickl dann in einem dürren Tweet zurück: In keinem Moment habe er die Gültigkeit der EMRK in Frage gestellt.

Eine Woche lang ließ sich kein Kolumnist im Lande die Gelegenheit entgehen, darüber zu spekulieren, ob Kickl einfach weniger intelligent sei, als ihm allgemein unterstellt werde, oder ob er einfach austesten wolle, wie weit ihm Koalitionspartner und Bevölkerung bei der Demontage des Rechtsstaates tatenlos zusehen würden.

Die meisten neigten zu letzterer Erklärung. Schließlich hat Kickl, der schon für Jörg Haider immer wieder perfide Werbesprüche ersonnen hatte, nie aus seinem Herzen eine Mördergrube gemacht.

Furcht vor dem Polizeistaat

Dass er sich mit den Argumenten der Opposition gar nicht auseinandersetzte, demonstrierte Kickl, indem er am Mittwoch der Debatte über den bereits sechsten Mißtrauensantrag im Parlament fern blieb. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner begründete den Antrag mit der Befürchtung, dass Kickl die „Tür in Richtung Polizeistaat öffnen“ wolle. Peter Pilz von der Liste „Jetzt“ attestierte ihm „Verfassungsvandalismus“.

Erwartungsgemäß wurde am Ende der Debatte der Misstrauensantrag mit den Stimmen der Regierungskoalition niedergestimmt. Bis der siebente Mißtrauensantrag folge, sei wohl nur eine Frage der Zeit, orakelte der Kolumnist Günter Traxler am Freitag im Standard. „Daran arbeitet Kickl schließlich unermüdlich, wie seine aktuelle Forderung an die EU-Kommission zeigt, Flüchtlinge auch nach Bagatelldelikten abschieben zu können“.

Was die um die Demokratie besorgten Journalisten und Politiker fürchten, nämlich das Wüten der rechten Elefanten im fragilen Porzellanladen der Demokratie, ist für andere ein erstrebenswertes Ziel. Formuliert in beispielhafter Deutlichkeit durch eine im Fernsehen zu Wort gekommene pummelige Frau im Bierzelt der FPÖ-Neujahrsveranstaltung: „Die san jetzt an der Macht. Die soll'n jetzt ausschöpfen, wos nur geht!“

Provokation gehört zum Geschäft der Rechtspopulisten. Und die Fangemeinde freut's offensichtlich. Aber sie wächst nicht, obwohl sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache rühmt, 75 Prozent der Regierungsarbeit trage freiheitliche Handschrift.

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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