Kleinbauern bei „Neuland“: Die letzte Chance

Nirgendwo in Europa wird schlechteres Fleisch gegessen als in Deutschland. Neuland zwischen Markt und Vernunft.

Schweinerücken. Bild: dpa

DEUTSCHLAND zeo2 | Montags, mittwochs und freitags kommen die Viehtransporter. Sie rollen auf den Hof hinter dem Schlachthof Hencke. Luken scheppern. Scharniere knirschen. Hufe klappern. Mal werden sechs Rinder abgeladen, mal 20 Schweine, ab und an ein Dutzend Schafe. Wenn Thomas Strauß von seinem Büro aus dem Fenster blickt, weiß er, woher sie kommen. Die Bauern, die sie anliefern lassen, kennt er persönlich. Er weiß, wie die Tiere gehalten, mit welchem Futter sie gemästet wurden und wie lange.

„Bei uns sind Bauer und Tier keine Nummer“, sagt Strauß, „bei uns können Sie nachvollziehen, welchen Weg ein Tier gegangen ist – von der Geburt bis zum Steak oder zur Leberwurst.“ Bad Bevensen in Niedersachsen, Eppenser Weg 29. Strauß, gelernter Metzger, ein Mann mit breiten Schultern und kernigem Händedruck, ist Geschäftsführer der Neuland GmbH Produktvermarktung. Strauß kümmert sich um Vertrieb und Verkauf von Fleisch für etwa 100 Neuland- Bauern.

Bad Bevensen ist zuständig für den Bereich Norddeutschland. Berlin ist dabei mit 28 Fleischereien und Filialen der größte Absatzmarkt. „In Berlin“, sagt Strauß, „kennt uns jeder.“ In Berlin kann es passieren, dass man in ein Taxi steigt und sagt, man wolle zur Fleischerei Bachhuber, und der Taxifahrer sagt: „Ditt is’ Neuland, wa? Da renn’se alle hin.“ Und auch bei Metzger Gerlach, Stadtteil Prenzlauer Berg, stehen die Kunden wegen des Ochsenfleischs und der hausgemachten Lamm-Merguez geduldig Schlange bis auf den Gehsteig.

„Es wird eben honoriert“, meint Strauß, „dass unsere Marke auf Qualität und Werten basiert.“ Der Neuland e.V. wurde 1988 gegründet. Träger sind der Deutsche Tierschutzbund, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Das Credo: möglichst artgerechte, umweltfreundliche Haltung von Nutztieren, die dem Verbraucher mehr Qualität und dem Erzeuger solide Wirtschaftlichkeit garantieren.

Auslauf und Weidefläche

Derzeit sind bei Neuland etwa 170 Bauern organisiert. Es gibt neben Bad Bevensen zwei weitere Vermarktungsgesellschaften. Bergkamen ist für Westdeutschland, Radolfzell für Süddeutschland zuständig. Zu den Abnehmern gehören neben Neuland-Fleischereien auch Restaurants, Großküchen von Unternehmen wie Allianz, Concordia, Google, Siemens, RTL und ZDF, dazu etliche Universitäten und Kindergärten.

2011 betrug der Jahresumsatz etwa 15 Millionen Euro, zehn Prozent mehr als 2010. Nicht zu viele Tiere – das gibt es nur bei Neuland, der Verein gibt seinen Mitgliedern strikte Bestandsobergrenzen vor: 650 Schweine, 200 Mutterkühe und 150 Mastplätze bei Rindern, 6.000 Hähnchen, 10.000 Legehennen, je 2.000 Puten, Enten und Gänse sowie 1000 Mutterschafe pro Betrieb.

Die Tiere müssen ausreichend Auslauf und Weideflächen haben. Die Wandfläche der Ställe muss zu einem Fünftel aus Fenstern bestehen; Spaltenböden sind untersagt. Ferkeln dürfen nicht die Zähne abgefeilt und die Schwänze kupiert, Hühnern dürfen nicht die Schnäbel beschnitten und Rinder nicht angebunden werden.

Zur Kastration werden die jungen männlichen Schweine betäubt. Das Futter muss aus heimischer Produktion stammen, gentechnisch veränderte Substanzen und der Einsatz von Antibiotika sind verboten. Der Transport zum Schlachthof darf nicht länger als vier Stunden dauern. Die Schlachthöfe, mit denen Neuland kooperiert, sind bio-zertifiziert und konzentrieren sich auf regionale, kleinere Erzeuger und niedrige Stückzahlen.

Saumagen (etwas höher im Bild). Bild: dpa

Nehmen wir Hencke in Bad Bevensen. Alteingesessener Familienbetrieb, gegründet 1871. In der Firmenchronik steht: „Aus der Region für die Region.“ Dem fühlt sich auch Andreas Hencke, Inhaber und Geschäftsführer in fünfter Generation weiter verpflichtet. Maximal 400 Schweine und 50 Rinder sterben wöchentlich an drei Schlachttagen bei Hencke. Das wirtschaftliche Überleben sichern ihm die EU-Flächenprämie und primär der Anbau von Getreide.

Seedorf: „Die Schweine sind mein Hobby, Neuland kannst du ohne Überzeugung nicht machen.“ Fleischproduktion ist ohnehin ein komplexes Geschäft. Und das nicht nur, wie Andreas Engel erzählt, weil eine Handvoll Großunternehmen wie Tönnies, Vion und Westfleisch 99 Prozent des Marktes und die Preise dominieren. Engel war einer von fünf Bauern, die 1988 eine Erzeugergemeinschaft gründeten und als Erste das Neuland-Konzept umsetzten; die erste Fleischerei, die sie akquirierten, war übrigens die von Jürgen Bachhuber in Berlin-Wilmersdorf.

Seither hat Engel, der Schweine und Gänse nach Neuland-Richtlinien mästet, erfahren, wie schwer es ist, mit Ansprüchen und Idealen Fleisch zu produzieren. Stark schwankende, zuletzt rapide steigende Futtermittelpreise. Katastrophale Umsatzeinbrüche nach jedem Fleischskandal. Irrationales Konsumentenverhalten. „Schauen Sie“, sagt Engel, „wenn ein Schwein geboren wird, kann ich noch halbwegs sagen, wann es auf den Teller kommt, beim Kalb sind das mindestens zwei Jahre, beim Rind dauert es nochmal länger.“

Doch der Markt verlange zuverlässige und punktgenaue Lieferung. Und die lässt sich mit den niedrigen Neuland- Bestandsobergrenzen schwer erfüllen. Neulands Produktpalette offenbart daher weiter Lücken im Angebot. Produziert werden überwiegend Schweine, „aber viel zu wenig Rind“, wie Engel sagt, und so gut wie kein Kalbfleisch. Bei Hühnern sieht es wenig besser aus. „Neuland“, sagt Werner Langfeld, Betreiber eines Geflügelschlachthofs in Wietzen, Landkreis Nienburg an der Weser, „braucht das weiße Fleisch in seinem Sortiment.“

Nicht rentabel

Und er, Langfeld, Neulands einziger Hähnchenmäster in Norddeutschland, würde es sehr gerne liefern. Doch dazu müsste er den Bestand auf etwa 12.000 Tiere verdoppeln, um wiederum den Schlachthof rentabel betreiben zu können. Kann Neuland aus der Nische ausbrechen? Während Langfeld nun seit etwa einem Jahr mit Neuland über neue Bestandsobergrenzen und Futtervorschriften debattiert, ist in Wietze, etwa 60 Kilometer von Langfeld entfernt, Europas größter Geflügelschlachthof entstanden.

Dort sollen jährlich 135 Millionen Masthähnchen geschlachtet werden. Fünf pro Sekunde. Für den Nachschub sind in der Gegend 400 Ställe für je 40.000 Masthähnchen geplant. Langfeld: „Das Hähnchen, das die produzieren, kostet im Supermarkt dann fünf Euro, unseres kostet 20 Euro – diese Diskrepanz ist schwer zu überwinden.“ Dennoch: Sie machen vieles richtig bei Neuland. Die Marke ist etabliert, sie steht beim Konsumenten vor allem für Vertrauen.

Der Konsument ist bekanntlich – das gilt nicht nur für Neuland, sondern vor allem für Bio-Label – bereit, dafür auch mehr Geld zu bezahlen. Und es sieht ganz danach aus, als würde Neulands Geschäft weiter wachsen. Matthias Minister sagt: „Man kann über Tierschutz viel reden, ihn zu praktizieren ist eine andere Sache, wir beweisen seit 25 Jahren, dass es funktioniert. Das soll uns die Industrie erst mal nachmachen.“

Es sieht aber auch ganz danach aus, dass Neuland gemessen an den Dimensionen des Fleischmarktes ein marginaler Sonderfall bleiben wird. Das liegt natürlich an der Macht der Agrarindustrie, des Großhandels, der Discounter, die mittels Werbemillionen auch das Konsumentenverhalten manipulieren können. Es liegt aber auch an der Politik, die offenbar nicht willens ist, dem Konsumenten zu helfen. „Wir brauchen mehr Transparenz“, fordert Martin Rücker von Foodwatch in Berlin, „das ist nicht nur beim Fleisch das große Manko im Lebensmittelbereich.

Der Konsument kann die Qualität des Produktes nicht überprüfen wie beim Auto, wo das anhand von technischen Daten möglich ist. Mangels Information bleibt dem Konsumenten nur der Preisvergleich, und das ist nicht nur für den Verbraucher ein Dilemma, sondern auch für den Qualitätsanbieter.“

Gerhard Waldherr, der Artikel ist erschienen in der Ausgabe zeo2 1/2013.

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