Kirche beharrt auf Sonder-Arbeitsrecht: Nur wer glaubt, kann richtig putzen

Bremens Evangelische Kirche setzt auf Diskriminierung: Selbst Putz-Jobs und Kartoffelschälstellen vergibt sie nur an Christenmenschen.

Eine Kita-Erzieherin zündet mit zwei Mädchen eine Kerze an einem Adventskranz an.

Auch aufgeklärte Kinder lernen in der Kita, auf den Weihnachtsmann zu warten Foto: Patrick Pleul (dpa)

BREMEN taz | Fromme Wünsche stehen viele im rot-grünen Bremer Koalitionsvertrag von 2015. „Wir wollen kein ‚Zwei-Klassen-Arbeitsrecht‘ für Beschäftigte der Kirchen“, lautet einer davon. Von der Verwirklichung sind Rote und Grüne indes nach drei Jahren weit weg: Die evangelischen Gemeinden stellen selbst technisches Personal nur ein, wenn es in einer christlichen Kirche organisiert ist.

Und auch der Landesverband evangelischer Kitas, verlangt das in seinen 25 aktuellen Ausschreibungen von sämtlichen Beschäftigten: „Religionsbezogene Anforderungen für Arbeitsplätze in Kirche und Diakonie sind weiterhin zulässig“, teilt die Bremische Evangelische Kirche (BEK) ihre Auffassung mit. „Für uns ist klar, dass kein säkulares Gericht entscheiden kann, wann ein Arbeitsplatz so verkündigungsnah ist, dass wir als Arbeitgeber religiös bedingte Anforderungen stellen dürfen.“

Das könnte womöglich die Andachtsübung Kita-Putzen als weltlich auffassen. Richtig wischen können aber nur Getaufte. So heißt es in einer Stellenanzeige, mit der für einen Kindergarten in evangelischer Trägerschaft „eine Raumpflegerin/ ein Raumpfleger“ für mit „3,75 Wochenstunden, davon 2,25 Wochenstunden befristet“ gesucht wird: „Einstellungsvoraussetzung ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) angehört.“

„Mittelalterliches Hörigkeitsdenken“ nennt das Herbert Thomsen vom Forum Säkulares Bremen: „Das gehört abgeschafft.“ Er sehe darin einen neuerlichen Beleg, dass „Bekundungen zu Vielfältigkeit und Toleranz, die die Kirchenleitung immer wieder herausstellt, hohle Versprechungen“ sind. Er hält solche Stellenausschreibungen für rechtswidrig.

Überraschte Politik

Tatsächlich dürfen Religionsgemeinschaften bei der Einstellungspolitik Glaubensfreie mitunter ausschließen. Diese Diskriminierung ist aber nur zulässig, sofern ein „direkter Zusammenhang“ von Bekenntnis und Tätigkeit vorliegt, hat der Europäische Gerichtshof im September entschieden. Ein solcher Zusammenhang könne sich ergeben, wenn sie mit einem Beitrag zum Verkündigungsauftrag verbunden sei.

Bloß glaubt halt die BEK, die Grenze ganz allein zu kennen: „Für uns ist klar, dass eine Erzieherin in einer evangelischen Kita weiter Mitglied einer christlichen Kirche sein muss“, sagt die Kirchensprecherin Sabine Hatscher. Das sieht das Säkulare Forum anders: „Es darf nicht sein, dass die Kirchen zwar staatliches Geld nehmen, sich bei der Frage von zeitgemäßen Arbeitnehmer*innenrechten aber wegducken“, argumentiert Thomsen. Immerhin sind auch die kirchlichen Kitas vor allem staatlich finanziert. Thomsen: „Auch die Abgeordneten sind hier gefordert.“

Aktuelle Stellenanzeige

„Gesucht wird eine Raumpflegerin / ein Raumpfleger (w/m) mit 3,75 Wochenstunden, davon sind 2,25 Wochenstunden befristet. Einstellungsvoraussetzung ist die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche“

Die sind überrascht von der kirchlichen Praxis: „Ich erfahre durch Ihre Anfrage erstmals von diesen Stellenausschreibungen“, räumt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Björn Tschöpe, ein. „Ich war davon ausgegangen, dass die BEK das EuGh-Urteil umsetzt.“ Das sei hier nicht der Fall, sagt der Jurist. „Wenn man evangelischer Pastor ist, muss man auch Protestant sein; aber für alles, was darunter ist, muss gelten, dass Arbeitnehmerrechte keine Glaubensfrage sind.“

Kirche verletzt Mindeststandards

Auch die Linksfraktion hält solche Stellenausschreibungen für grob rechtswidrig und politisch unhaltbar. „Wir erwarten, dass sich Bürgermeister Carsten Sieling umgehend mit der Kirche zusammensetzt, damit solche Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unterbleiben“, sagt Fraktionschefin Kristina Vogt.

Wenn sich etwas bewegen soll, wird die Intervention des Senators für Kirchenfragen wohl nötig sein. Denn Kindersenatorin Claudia Bogedan (SPD) hält sich für „nicht zuständig“, so deren Sprecherin: „Für die Einhaltung des AGG ist jeder Arbeitgeber selbst verantwortlich“.

Dabei schreibt das Bremer Vergabegesetz vor, dass die von Land oder Stadt engagierten Dienstleister nicht nur Tarif- sondern auch Sozialstandards zu erfüllen haben. Dazu gehören diverse von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) formulierte Übereinkommen gegen Zwangsarbeit, Kinderarbeit und „Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf“. Darunter ist auch „jede Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung“ zu verstehen, die auf Grund des Glaubens oder der politischen Meinung geschieht. Es hat in Deutschland seit 1961 Gesetzeskraft.

Wahr ist: Für die Wohlfahrtspflege greift das Vergabegesetz nicht. Das Sozialgesetzbuch garantiert freien Trägern einen hohen Grad von Autonomie bei der Selbstorganisation. Selbst Minimalstandards hier zu verankern wäre juristisch sehr kompliziert. Und zudem hat sich Bremen einigermaßen abhängig gemacht von der evangelischen Kirche. Fielen deren 4.700 Kita-Plätze weg, wäre es nix mit Erfüllung des Rechtsanspruchs. Thomsen hält das Risiko eines Konflikts dennoch für beherrschbar: „Die würden sich das aber auch nicht entgehen lassen“, sagt er. „Das ist deren bestes Missionierungsinstrument.“

Das grünes Herz schlägt nur für Gott

Bloß: Um die Arbeitnehmerrechte durchzusetzen, müsste die Auseinandersetzung geführt werden. Und mindestens die Grünen tun das Gegenteil: Deren kinder- und religionspolitischer Sprecher Matthias Güldner, nebenbei im Beirat des evangelischen Bildungswerks engagiert, hält das Vorgehen der BEK für unproblematisch. „Das ist für mich keine Diskriminierung“, behauptet er. Schließlich könne es ja „im Sinne der uns vor allem wichtigen Vielfalt und interkulturellen Öffnung“ durch „Ausnahmeregeln“ ermöglicht werden, „dass Menschen ohne oder mit anderen Religionszugehörigkeiten ihren Weg in Einrichtungen der Evangelischen Kirche finden“ – Gnadenrecht statt Rechtsanspruch.

Die einschlägigen Passagen im Koalitionsvertrag jedenfalls will Güldner nur als Forderung nach gleicher Bezahlung und Tarifen verstanden wissen. Dabei benennt der ausdrücklich die gesamte „arbeitsrechtliche Situation kirchlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ als Handlungsfeld und formuliert das Ziel diese „insbesondere in nicht verkündungsnahen Bereichen an die außerhalb der kirchlichen Einflusssphäre geltenden arbeitsrechtlichen Bedingungen anzugleichen“. Die ist dort unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass das Grundrecht auf Glaubensfreiheit uneingeschränkt gilt. Aber auch über das hat Güldner eine andere Auffassung: „Wir Grünen“, teilt er mit „respektieren das Recht der Religionsgemeinschaften auf kirchliche Selbstbestimmung als ein wesentliches Grundrecht unserer Verfassung.“

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