Kinostart „The Homesman“: Odyssee in einer archaischen Hölle

Ein mythenloser Westen in apokalyptischer Landschaft. Tommy Lee Jones wählt für seinen Neo-Western die seltene weibliche Perspektive.

Faltenmann Tommy Lee Jones und Hilary Swank in „The Homesman“. Bild: Verleih

Die Bilder sind trügerisch. Die Einstellungen von Kameramann Rodrigo Prieto – weites Land, das sich zum Horizont erstreckt, dieses für das Genre charakteristische Verhältnis von Erde und Himmel, das von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft kündet –, wirken vertraut, aber Tommy Lee Jones’ zweite Regiearbeit „The Homesman“ ist ein Western wie kein anderer. Der Mythos der frontier war Mitte des 19. Jahrhunderts noch vage.

Die Pioniere, die auf dem unwirtlichen Land das Projekt des nation building vorantrieben, hatten noch keine Vorstellung von dem sogenannten Wilden Westen, der unerschlossen vor ihnen lag. Auch „The Homesman“ hat keinen Blick für die Schönheit der Landschaft, die von den Menschen alles einfordert: ihre Arbeitskraft, ihren Stolz, ihren Mut – und ihren Überlebenswillen. Das Leben an diesem Außenposten der Zivilisation ist buchstäblich eine Grenzerfahrung. Wer ihr nicht gewachsen ist, geht elendig zugrunde – oder wird an dem Land verrückt.

Tod und Wahnsinn sind auch die Leitmotive in Jones’ apokalyptischer Landschaftsmalerei. Sie haben eine kleine Siedlung frommer Pioniere im ehemaligen Nebraska-Territorium erschüttert: Die Kinder sterben, die Frauen sind von den Strapazen psychisch gebrochen. Von Gemeinsinn keine Spur: Um drei traumatisierte Siedlerinnen aus dem Grenzland zurück in die Zivilisation zu überführen, wird ein homesman gesucht. Doch die einzige Person, die sich für die gefährliche Reise anbietet, ist die resolute Mary Bee Cuddy (Hilary Swank), die „unüblich allein“, wie sie mit scharfem Blick in Richtung der älteren Siedlerfrauen sagt, ihr karges Land kultiviert.

Diese ungewöhnliche Konstellation positioniert „The Homesman“ an einem interessanten Punkt innerhalb der Genre-Erzählung, zwischen Tradition und Revision. Die weibliche Perspektive ist im Western noch immer unterrepräsentiert. Kelly Reichardt hat sie sich in ihrer aus einem luziden Realismus heraus erschaffenen Western-Allegorie „Meek’s Cutoff“ zu eigen gemacht und damit eine weitere gesellschaftliche Ebene in den amerikanischen Mythos eingezogen. Sie verkehrte die Geschlechterrollen im Projekt der Landnahme: Die Männer gingen die Aufgabe mit Tatkraft an, die Frauen handelten im Sinne einer politischen Vernunft. Sie repräsentierten gewissermaßen das Gesellschaftliche in diesem Prozess der Umwandlung des amerikanischen Westens in eine Zivilgesellschaft.

Ein plausibles Kompliment

Cuddy ist – zunächst – auch eine Frau wie keine andere, die das Western-Genre je hervorgebracht hat. Die Härte des Landes hat die unverheiratete Farmerin, im Gegensatz zu ihren Leidensgenossinnen, nicht untergekriegt. Dennoch ist sie hier offenkundig fehl am Platz: Um sich ein wenig heimisch zu fühlen, hat sie an der Ostküste ein Harmonium bestellt. Ihre Unabhängigkeit stempelt Cuddy zur Außenseiterin ab. „Sie sind nicht weniger Mann als die anderen Männer hier“, bestärkt sie der Reverend (John Lithgow) in ihrer Mission. In „The Homesman“ klingt das wie ein plausibles Kompliment. Die Männer betrachtet Cuddy als potenzielle Partner bei der Kultivierung des Landes.

„The Homesman“: Regie: Tommy Lee Jones. Mit Hilary Swank, Tommy Lee Jones. USA/Frankreich 2014, 123 Min.

Darum geht sie beim Werben ebenso pragmatisch vor wie beim Bestellen der Felder. Ein warmes Abendessen, ein frommes Lied – „Warum also nicht heiraten?“, überrumpelt sie ihren Gast. Doch weil die Grenzmänner einen solchen Ton bei einer Frau – als herrisch und dröge wird sie beschrieben, ein Running Gag des Films – nicht gewohnt sind, muss Cuddy erst auf eine ähnlich schroffe Gestalt für eine ebenbürtige Partnerschaft treffen.

Sie findet George Briggs (Tommy Lee Jones), so nennt er sich, mitten in der Prärie in Unterhosen und mit einem Strick um den Hals: eine nicht minder eigenwillige Figur der jüngeren Western-Historie, halb Schelm, halb Ganove. Und dieses Mal kann Cuddys männliches Gegenüber ihren Deal nicht ausschlagen: sein wertloses Leben und 300 Dollar für sicheres Geleit nach Iowa, wo Theoline, Arabella und Gro in einer Methodistengemeinde unterkommen sollen.

Alptraumhafte Farce

Der lange Ritt Richtung Osten (die drei Frauen sind notdürftig in einer Art Gefangenentransporter untergebracht, der den weiblichen Blick zwangsläufig einschränkt) entwickelt sich zu einer alptraumhaften Farce, die das Warten auf die lange angekündigte Verfilmung von Cormac McCarthys „Blood Meridian“ angenehm verkürzt. Jones’ amerikanischer Westen ist eine archaische Höllenlandschaft. Den Weg der Reisenden säumen offene und geplünderte Gräber, kriegerische Natives mit fantastisch-morbiden Gesichtsbemalungen und degenerierte Cowboys wie aus einem Horrorfilm.

Der rustikale Humor von Jones’ Figur suggeriert dabei zunächst eine Buddy-Erzählung, doch konsequenterweise kommt der Film nie von seinem erratischen Kurs ab. Spätestens wenn Cuddy sich kurzzeitig von der Reisegruppe trennt und auf ihrer Odyssee zurück beinah selbst den harschen Bedingungen zum Opfer fällt, wird deutlich, dass Jones wenig an einer Neubestimmung des Genres liegt. Relativ unmotiviert wird die kritische Perspektive der homeswoman durch eine konventionelle Heldengeschichte ersetzt, die zwar auch den Helden in kein sehr vorteilhaftes Licht rückt, aber den Beigeschmack des Revanchismus hat. Viel wahrscheinlicher aber blankem Narzissmus geschuldet ist.

Nun war der Western schon immer eine Bühne der Eitelkeiten, die letzte Bewährungsprobe großer männlicher Darsteller. Nicht ganz zufällig diente ein früher Roman von „Homesman“-Autor Glendon Swarthout auch John Waynes Schwanengesang „Der letzte Scharfschütze“ als Vorlage. Tommy Lee Jones war solcher Eitelkeiten bislang unverdächtig. Sein seltsamer Veitstanz am Schluss umreißt in etwa das Programm von „The Homesman“, der an die großen Western-Entwürfe trotz interessanter Ansätze nicht heranreicht: selbstverliebt und etwas irre.

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