Khediras Kreuzbandriss: Der „deutsche Panzer“ ist verletzt

Mit seiner Spielweise hat Sami Khedira die deutsche Fußball-Nationalmannschaft geprägt. Nun fällt er lange aus. Das hat weitreichende Folgen.

Ehemals Teamkollegen bei Real Madrid: Khedira (l.) und Özil Bild: dpa

BERLIN taz | Im Londoner Wembley-Stadion kann Bundestrainer Joachim Löw den absoluten Ernstfall proben. Die verletzten Ilkay Gündogan und Bastian Schweinsteiger werden gegen England am Dienstag sowieso nicht auflaufen können – das ist schon seit Längerem klar. Und seit Freitagabend weiß man auch: Sami Khedira wird bis auf Weiteres ebenfalls nur vom Krankenbett aus zuschauen können. Im Freundschaftsspiel gegen Italien (1:1) fügte sich Khedira bei einem Foul an Andrea Pirlo selbst den größten Schaden zu. Das vordere Kreuzband und das Innenband seines rechten Knies rissen im Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadion.

Löw sprach von einem „bitteren Rückschlag“. Das deutsche Team ist derzeit ohne seine ersten drei Optionen im defensiven Mittelfeld führungslos in der strategischen Schaltzentrale. Ausgerechnet in dem Bereich, wo man im internationalen Vergleich über die größten Vorteile zu verfügen schien, herrscht nun ein akuter Arbeitskräftemangel.

Angesichts des komplizierten Heilungsverlaufs der Verletzungen von Schweinsteiger (Sprunggelenk) und Gündogan (Rücken) und des sechsmonatigen Ausfalls von Khedira ist der Bundestrainer im Hinblick auf die WM 2014 in Brasilien zu ganz neuen Gedankenspielen genötigt. Selbst wenn Khedira rechtzeitig wieder im Juni einsatzfähig wäre, würde ihm die nötige Wettkampfpraxis fehlen. Und für das Festhalten an nicht absolut fitten Spielern hat Joachim Löw schon bei der EM 2012 im Falle des angeschlagenen Schweinsteigers kräftig Kritik einstecken müssen. Löw sprach von einem „Fünkchen Hoffnung“, das er für eine rechtzeitige Rückkehr Khediras habe.

Improvisationskunst ist nun beim Verschieben der Kräfte im Team gefragt. Soll das Loch im Zentrum durch den einzigen deutschen Weltklasse-Außenverteidiger Philipp Lahm gestopft werden? Setzt man auf die im DFB-Dress noch unerfahrenen, bissigen Bender-Zwillinge? Oder verfeinert der Bundestrainer die spielerische Note seines Teams, indem er die technisch beschlagenen Kroos, Özil oder Götze nach hinten zieht?

Die beiden Letzteren sollten zuletzt die spielerische Note im Sturm erhöhen. All die genannten Spieler führte auch Joachim Löw auf, um zu demonstrieren, dass sein Kader ihm durchaus einige Variationsmöglichkeiten biete. Nutznießer der durch Khediras Ausfall nötigen Verschiebungen könnten Spieler sein, an die gerade keiner denkt. Mario Gomez vielleicht? Oder wird Kevin Großkreutz als rechter Verteidiger berufen und die große Bayern-Borussen-Koalition im Nationalteam wieder mehr ins Gleichgewicht gebracht?

Reminiszenz an die Vergangenheit

Die Art des deutschen Zusammenspiels wird sich gewiss ändern. Ob dies von Vorteil sein wird, darüber kann man sich trefflich streiten. Die kämpferische Mentalität von Sami Khedira ist im deutschen Team gewiss nicht im Übermaß vorhanden und hat dessen Spiel eine zusätzliche Dimension gegeben. Eine letzte Reminiszenz an die Vergangenheit. Das bringen auch die Genesungswünsche des spanischen Nationalspielers von Xabi Alonso an Khedira auf eine vielleicht etwas klischeehafte Weise zum Ausdruck: „Kopf hoch. Wir erwarten Dich bald zurück, deutscher Panzer.“

Andererseits bietet sich Löw nun die Möglichkeit mit einem noch spielstärkeren Akteur im Mittelfeld seine Idealvorstellungen vom Kombinationsfußball näher zu kommen. Und dass das Fehlen von Führungsfiguren auch Kräfte freisetzen kann, hat die WM 2010 gezeigt, als das deutsche Nationalteam ohne Michael Ballack aufblühte.

Die Teamchemie von damals ist mit der heutigen natürlich nicht zu vergleichen. Ein anderer Aspekt könnte im Fall von Khedira Kräfte freisetzen. Ohne Bestbesetzung kann sich das deutsche Team auch ein wenig vom Titelballast, der ihm aufgebürdet wird, befreien. Statt eingespielte Mechanismen zu verfeinern, wird Joachim Löw in London wieder mit dem Experimentieren beginnen. WM-Titel werden eben nicht am Reißbrett gewonnen.

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