Karneval der Kulturen in Berlin: „Ich bin eine Art Phantom“

Sonia de Oliveira ist für viele das Gesicht des Karnevals – doch am Sonntag ist sie zum ersten Mal nicht dabei. Ein Gespräch über Geld, Politik und wie es weitergeht.

Sonia de Oliveira im Federkostüm

Seit 1997 strahlendes Highlight des Berliner Karneval der Kulturen: Die Deutsch-Brasilianerin Sonia de Oliveira (hier: 2012) Foto: dpa

taz: Frau de OIiveira, Sie sind ja für viele das Gesicht des Karnevals. Dieses Jahren machen Sie das erste Mal seit 1997 nicht mit. Warum?

Sonia de Oliveira: Das war keine leichte Entscheidung. Aber wir hatten seit letztem Jahr, als wir ein paar Tage nach dem Umzug aus unserem Lager in der Urbanstraße ausziehen mussten, lange überhaupt keine feste Bleibe für uns. Wir mussten unsere Sachen mehrmals von A nach B bringen, immer in Zwischenlager, wo wir nicht arbeiten konnten. Ich war fix und fertig, am liebsten hätte ich die Sachen gleich nach dem Umzug letztes Jahr verbrannt. Es war auch lange so unsicher, ob und wie es überhaupt weiter geht. Und ich brauche Zeit für die Vorbereitung: für mich ist nach dem Karneval gleich wieder vor dem Karneval.

Sie brauchen ein Jahr, um sich vorzubereiten?

Ja. Manche Kostüme sind kaputt, manche einfach weg. Und die Gestelle für die Kostüme werden in Brasilien gemacht, das kann hier niemand. Meine Familie in Rio und ich arbeiten das ganze Jahr daran.

Für Sie war also der Umzug in das neue „Haus des Karnevals“ im März zu spät?

Ja, ich hatte keine Möglichkeit meine Sachen in der gewohnten Qualität zu machen. Ich bin ja praktisch eine Ein-Frau-Firma, habe kein Geld jemanden zu bezahlen, um diese aufwändigen Kostüme zu erstellen.

Wie viele Kostüme haben Sie?

Im Lager sind etwa 600. Die ganz wertvollen habe ich aber Zuhause, die kosten teils tausende Euro.

Sonia de Oliveira wurde 1972 im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais geboren, wuchs als Jugendliche in Rio de Janeiro auf. Seit 21 Jahren lebt sie in Berlin. Sie spricht sechs Sprachen, ist gelernte Schauspielerin und Dramaturgin. Ihr Geld verdient sie zumeist als Übersetzerin, Synchron-Sprecherin, Moderatorin und Set-Designerin. Mehr Infos auf www.amasonia.de

Wie groß ist denn die Gruppe?

Sehr unterschiedlich. Im ersten Jahr hatten wir 450 Teilnehmer. Dann wurde es von Jahr zu Jahr weniger, weil die Logistik immer schlechter wurde.

Aber nächstes Jahr machen Sie wieder mit.

Das hoffe ich, meine Gruppe will natürlich auch, die sind alle traurig. Aber es ist noch nicht gesagt, dass der Karneval 2017 gesichert ist. Es fehlt noch ein Betrag x – nicht dass wir Gruppen viel davon bekommen. Wir müssen ja immer selbst sehen, dass wir private Investoren finden. Letztes Jahr habe ich zum allerersten Mal überhaupt etwas von diesem Senatsgeld bekommen, wenn das natürlich auch längst nicht die Kosten gedeckt hat.

Aber alle schmücken sich mit Ihnen, Sie sind auf jedem Poster, jede Zeitung, die über den Karneval berichtet, druckt ihr Foto.

Ja, mein Bild ist auch in mindestens zehn Reiseführern über Berlin. Niemand fragt mich und für all dies bekomme ich auch keinen Cent. Es soll jetzt ein Dokumentarfilm über mich gemacht werden mit dem Titel „Fremde Federn“ – so stand es mal in der taz. Das ist genau das, was hier passiert. Niemand fragt, was mich das kostet und alle bedienen sich. Das ist schon traurig, keiner kennt meinen Namen, ich bin eine Art Phantom. Darum trage ich jetzt auch immer ein „Amasonia“-Schild in meinem Kostüm.

Trotzdem machen Sie immer wieder mit, oder wollen zumindest. Warum?

Ich mache das nicht nur für mich und mein Ego. Für viele in meiner Gruppe sind die Vorbereitungen, die Treffen, das Basteln und Proben, fast eine Art Therapie. Wir haben Leute aller Altersklassen, auch wenn wir seit ein paar Jahren keine Kinder mehr dabei haben, weil uns der LKW fehlt. Aber wir sind eine große Familie, die sich jedes Jahr wieder trifft. Für mich ist es wichtig, meiner Gruppe diesen Tag zu schenken, und das Feedback, dass ich hinterher bekomme, ist immer unglaublich toll. Das ist meine Motivation: Ich merke, dass ich etwas tue, was andere glücklich macht.

Das Straßenfest des 21. Karnevals der Kulturen beginnt bereits am Freitag auf dem Blücherplatz am Halleschen Tor. Vier Bühnen bieten bis Sonntag Abend Weltmusik, Stände mit internationalem Essen und Kunsthandwerk.

Am Samstag beginnt um 13:30 Uhr am Mariannenplatz der Umzug des Kinderkarnevals. Er endet im Görlitzer Park mit einem großen Kinderfest.

Der große Karnevalsumzug beginnt am Sonntag um 12:30 Uhr auf dem Hermannplatz und zieht von dort bis zum Ende der Yorckstraße. Er besteht aus 5.000 TeilnehmerInnen in 73 Gruppen, zwölf sind in diesem Jahr zum ersten Mal dabei.

Weitere Informationen und Bühnenprogramme unter karneval-berlin.de.

Damit es weitergehen kann, gab es ja den Konzeptdialog mit dem Senat. Eines der Ergebnisse: es soll einen Förderverein geben, um Sponsoren zu finden. Überzeugt Sie das?

Nicht so richtig. Das hat seit 20 Jahren nicht geklappt und ich glaube nicht mehr an Märchen. Der Senat hätte uns viel früher und viel mehr unterstützen müssen. Der Karneval mit seiner Offenheit für alle Kulturen bringt so viel Anerkennung für die Stadt, was gerade mit der deutschen Geschichte wichtig ist. Und er bringt so viele Touristen, man sagt, 1,8 Millionen – und damit viel Geld. Wenn wir einen Euro pro Besucher bekämen, wäre das super. Aber der Senat hat es einfach verpasst, aus dem Karneval eine Institution zu machen mit der entsprechenden Logistik, einem Kulturzentrum, das man jeden Tag besuchen kann und so weiter. In Brasilien ist der Karneval eine Industrie, viele Leute leben davon. Ich würde das auch gerne machen, habe wahnsinnig viel Erfahrung – aber ich würde hier nie einen Job kriegen vom Senat.

Ein bisschen was hat er ja dazu gelernt. Jetzt gibt es die neuen Strukturen: Träger, Beirat, den Verein. Und das neue Haus in Marzahn. Ist das nicht gut?

Viele von meinen Kollegen aus den Gruppen haben vorher gesagt, das ist der einzige Ort, wo wir nicht hin wollen. Einige haben dort Geschichten mit Rechten erlebt – ich auch. Ich wurde mal eingesperrt in der S-Bahn von drei Skinheads. Die Bahn war fast leer und sie haben mich einfach nicht aussteigen lassen. Ich hatte solche Angst, habe zwar Capoeira gemacht, aber gegen drei Männer? Am Ende ist es gut ausgegangen, mir ist nichts passiert. Irgendwann kam ein Schaffner, der hat die drei an der nächsten Haltestelle rausgeworfen. Danach war ich traumatisiert. Ich bin nur froh, dass ich darüber reden kann, es gibt sicher viele, die das nicht können. (sie kämpft mit den Tränen)

Sie wollten also nicht nach Marzahn?

Nein, das war genau das Gegenteil von dem, was wir wollten. Wir brauchen auch ein Umfeld von Kreativität, wie in Kreuzberg, und etwas gut erreichbares. Aber es hieß, es gibt keine Alternative, alle freien Gebäude seien an Flüchtlinge vergeben. Vor ein paar Wochen habe ich sie mir dann die neuen Räume angesehen. Ich habe einen Bekannten mitgenommen und mein Pfefferspray. Das Haus ist wirklich gut. Mal gucken, wie viel Platz ich dort bekomme und ob ich dort arbeiten kann. Aber die Atmosphäre fehlt natürlich. Und viele meiner Leute, gerade die Ausländer, haben schon gesagt, dass sie nicht dorthin kommen wollen – es gibt in Marzahn einfach zu oft Vorkommnisse mit Nazis. Mal sehen, wie sich das entwickelt, aber ein Zentrum des Karnevals, wo alle hinpilgern, wird Marzahn wohl nicht. Aber was noch nicht ist, kann immer noch werden.

Es gab unter den Gruppen lange eine große Angst, dass der Karneval kommerzialisiert wird. Ist das jetzt vom Tisch?

Unsere Angst war, dass uns unser Baby vom Senat weggenommen wird und er daraus eine ganz andere Veranstaltung macht, die mehr Geld bringt. Das wollten wir nicht, der Karneval sollte so bleiben wie bisher: Jeder kann mitmachen, sein Land vertreten, so wie er sich das denkt. Das ist keine Kommerzveranstaltung. Dafür kämpfen wir immer noch, der Karneval soll keine Loveparade mit Bier und tausend Verkaufsständen werden. Denn dann verliert er sein Gesicht. Aber ich glaube, so weit kommt es auch nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.