Karl Lauterbach über die Krise der SPD: „Wir können uns schlecht verkaufen“

Angesichts herber Wahlniederlagen erinnert der Fraktionsvize an die konstanten Erfolge der SPD. Man müsse nun eine Mitte-Links-Regierung forcieren.

Karl Lauterbach am 21. Januar beim SPD-Parteitag in Bonn

„Man muss nach den neuen Regeln spielen“, sagt Lauterbach Foto: reuters

taz: Herr Lauterbach, bleibt die SPD in der Koalition?

Karl Lauterbach: Jeden Tag darüber zu spekulieren und Wasserstandsmeldungen zu verbreiten, das brauchen wir nicht. Das ist eine erbärmliche Diskussion. Die wird uns natürlich von Medien aufgedrängt…

Ach, sind jetzt die Medien an der SPD-Krise Schuld?

Nein, so nicht. Wir dürfen diese richtige Frage nicht falsch beantworten.

Wo sind die Sollbruchstellen für die SPD in Sachen Regierung: Klimaschutzgesetz und Grundrente?

Wenn wir unsere Sollbruchstellen öffentlich definieren, sind wir erpressbar. Die hat man im Kopf, aber man plaudert sie nicht aus. Das weiß ich aus sehr langer Erfahrung mit Verhandlungen.

Also macht die SPD , trotz des Europawahlergebnisses, einfach so weiter wie vorher?

Ja und nein. Wir haben bei Gesundheit und Pflege 90 Prozent der im Koalitionsvertrag vereinbarten Gesetze begonnen oder abgeschlossen. Ich arbeite intensiv seit langem an einem Gesetz zur besseren Ausbildung von Psychotherapeuten. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass Depressive schneller eine Therapie bekommen. Das sind wichtige sozialdemokratische Gesetze. Soll ich, weil die SPD ein schlechtes Wahlergebnis hatte, die Arbeit einstellen? Ich versuche noch so viel zu erreichen wie es geht. Weniger quatschen, mehr arbeiten. Und wir bereiten die Zwischenbilanz der Regierung vor. Wir werden an zwei Fragen entscheiden, ob wir die Regierung fortsetzen: Wie viel haben wir erreicht? Wie viel ist noch möglich?

Aber das ist alles der Stand vor der Europawahl.

Das ist ein vernünftiger Plan. Den werden wir nicht wegen einer Wahlniederlage aufgeben.

Ist die SPD Motor der Regierung?

Ja, die Gesetze dieser Regierung stammen zum großen Teil von der SPD.

Karl Lauterbach, 56, ist Arzt, Gesundheitsökonom und stellver­tretender Fraktionschef der SPD im Bundestag.

Aber nur 16 Prozent der WählerInnen sehen das auch so. Woher kommt diese Kluft in der Selbst- und Außenwahrnehmung?

Drei Gründe: Wir können uns schlecht nach außen verkaufen. Wir beschäftigen uns zu viel mit uns selbst. Und: Die Groko ist bei den BürgerInnen nicht beliebt. Das bedeutet: Wir bekommen für die guten Gesetze, die wir machen, keine einzige Stimme mehr. Dafür kosten uns gute Gesetze, die wir nicht machen, Stimmen. Das ist asymmetrisches Geschäft. Aber das hält mich nicht davon ab, meinen Job zu machen.

Warum schätzt das Publikum so wenig, was die SPD tut?

Die Regeln des politischen Geschäfts verändern sich. Die soften Faktoren sind angesagt. Botschaften, Symbole und Inszenierung sind wichtiger geworden als das Handwerk, Gesetze zu machen. Darauf müssen wir uns endlich einstellen. Man muss nach den neuen Regeln spielen. Dazu fehlt uns auch eine klare Linie beim Klimawandel und zur Umverteilung.

Die SPD ist zum dritten Mal Juniorpartner der Union, und es geht immer weiter bergab. Ist mit Merkel zu regieren einfach die falsche Medizin für die SPD?

Nein, die Gesetze die wir gemacht haben, werden bleiben, auch wenn die SPD mal nicht mehr regiert. Wenn wir mit Merkel Unionspolitik gemacht hätten, würde ich sagen: Wir sind völlig gescheitert. Aber so ist es nicht. Das Land ist sozialdemokratischer geworden. Und es gibt auch bei Wahlen Hoffnung. Die Wahlen sind volatiler als früher…

Die Verluste der SPD in den Großen Koalitionen sind nicht volatil, sondern konstant.

Das ist unbenommen. Trotzdem wird die SPD sich auch wieder erholen.

Olaf Scholz glaubt, dass die Aussicht der SPD die Bundestagswahl zu gewinnen, viel größer ist als in den Jahren zuvor. Da schüttelt die halbe Republik nur noch den Kopf…

Ich hätte das so nicht gesagt. Zumindest nicht heute. Aber es ist nicht ganz falsch. Der Abstand zur Union ist nicht größer geworden. Und die Sympathien für die Grünen waren in der Vergangenheit öfters sehr schwankend. Ich glaube, dass die SPD bei Wahlen erfolgreicher sein kann, wenn wir uns Grünen und Linkspartei annähern. Ich bin schon lange für dieses Bündnis und in gutem Kontakt mit der Führung der Linkspartei. Es reicht nicht, nur offen für eine Mitte-Links-Regierung zu sein. Wir müssen offensiv dafür kämpfen.

Will die SPD das?

Es gibt bei uns viel weniger Gegner von Rot-Rot-Grün als früher. Die SPD-Spitze ist weit offener als früher. Aber dieses Bündnis auch zu fordern, dazu sind in der SPD nur wenige bereit. Das ist bei Grünen und Linkspartei nicht anders.

Ist für die Grünen im Bund eine Koalition mit SPD und Linkspartei noch eine ernsthafte Möglichkeit?

Das ist die Frage. Die Grünen sind gespalten. Ein Teil will eine Art grüne Macron-Partei werden und setzt ganz auf Schwarz-Grün. Manche scheinen sich da sogar für Rot-Rot-Grün zu schämen. Diese Grünen unterschätzen aber dramatisch den Widerstand der Wirtschaftspartei Union gegen Investitionen beim Klimaschutz. Der andere Teil der Grünen versteht, dass grüne Investitionen und Soziales zusammengehören. Rot-Rot-Grün ist das einzige Bündnis, das Fortschritt beim Sozialen mit Ökologischem verbinden kann.

Und Bremen?

Rot-Rot-Grün in einem westlichen Bundesland ist extrem erfreulich Aber ich würde die Wirkung nicht überschätzen.

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