Jungswelten, Mädchenwelten: Nacken und Brust

Ein Traum für Mädchen – Wellnesskosmetik im Nivea-Haus in Berlin-Mitte. Und Ö. ist sprachlos vor lauter Glück. Dabei hat sie eigentlich keine Ahnung.

Ö. strahlt. Dabei ist noch nichts passiert; noch stehen wir vor dem Nivea-Haus in Mitte und rauchen. Mit Kosmetik halten es Mädchen offenbar wie mit Handlesen auf dem Jahrmarkt oder Filmen von Wong Kar-Wai: Man muss nur daran glauben, dann wirkt es auch. Ö. weiß, dass sie eine "Anwendung" namens "Happy Face" bekommen wird, und setzt schon mal eins auf.

Das ändert sich nur kurz, als ich sage, dass ich unrasiert bin, um zu erfahren, ob das Nivea-Haus mit meinem Friseur Özgür mithalten kann. Ich erzähle von dessen Kunstfertigkeit, wenn er mit Agda, einer Enthaarungspaste, Ohren und Wangen säubert. Sie hat wirklich keine Ahnung.

Kurz darauf sind wir in einem OP-ähnlichen Raum. Meine Kosmetikerin, Romina heißt sie, hat davon zwar ebenfalls keine Ahnung, ist aber nett. Sie verpasst mir eine "Anwendung" namens "Männersache" und erzählt: Ihre Ausbildung musste sie selber bezahlen, auch privat schminkt sie sich gern. Und sie behandelt gern Männer. Tatsächlich bekomme ich nicht nur Reinigung und Maske. Romina massiert Gesicht und Kopf, Nacken und Brust. Nicht zu fest, nicht zu sanft. Ich könnte niederknien, liege aber schon. Ö. wird neidisch sein.

Ü. ist Redakteur im Schwerpunkt-Ressort der taz.

Überhaupt Ö. Was macht die? Sie liegt stumm auf der Bahre. Und strahlt. Selbst Lipgloss lässt sie sich widerstandslos auftragen. Dann verzieht sie noch einmal ihr Gesicht: als wir zu ihrer Enttäuschung ohne Werbegeschenke verabschiedet werden. Also schaut sich Ö. im Laden um. Eine Dreiviertelstunde. Am Ende kauft sie: nichts. Vielleicht besitzt sie das ganze Zeug sowieso.

Endlich draußen, lade ich sie ins Adlon ein. Sie findet das spießig. Vor zehn Jahren hätte sie auch "Happy Face" spießig gefunden; noch zehn Jahre, wenn sie reif für Niveas "Glattes Wunder" ist, wird sie nichts gegen das Adlon haben. Jetzt aber gehen wir in die Akademie der Künste. Ö. bestellt uns Sekt und Kuchen. Sie strahlt. Und zahlt.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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