Jüdisches Museum zeigt Kitaj: Jenseits von Religion und Nation

Eine umfassende Retrospektive in Berlin zeigt, wie der amerikanische Maler R. B. Kitaj seine jüdische Identität entdeckte.

R.B. Kitaj, Marrano (The Secret Jew), 1976 Bild: R.B. Kitaj Estate. Collection of Michael Moritz & Harriet Heyman

Wird man als Jude geboren? Wird man zum Juden gemacht? Oder erklärt man sich selbst dazu? Dieser spannenden Frage ließe sich am Leben und am Werk von R. B. Kitaj nachgehen, dem das Jüdische Museum Berlin derzeit eine opulente Retrospektive widmet.

Wegen seiner leuchtenden Farben, den comicartigen Formen und der flächigen Malweise wird Kitaj gern als „vergessener Pop-Artist“ gelabelt. Und doch steckt nichts weniger als ein waghalsiges Identitätsexperiment hinter diesem komplexen, zugleich aber auch populären Oeuvre.

Das Jüdische war dem 1932 in Cleveland, Ohio geborenen Künstler zwar in die Wiege gelegt. Seine Mutter Jeanne Brooks war die Tochter russisch-jüdischer Emigranten. Und seinen Künstlernamen hat der als Ronald Brooks Geborene von dem Wiener Juden Walter Kitaj, der 1938 in die USA emigrierte und Jeanne Brooks heiratete.

Im Bewusstsein des jungen Mannes spielte das aber noch keine Rolle, als der 17-Jährige 1949 als Matrose durchbrannte und danach in Wien, London und Oxford Kunst studierte. Sondern eine ganz andere Grunderfahrung: Eines seiner ersten Bilder hatte Kitaj 1960 „Homage to Hermann Melville“ genannt und wertete es fast 30 Jahre später als Bekenntnis zum „heimatlosen Leben“. Daraus speist sich, was er später zu einer Art Weltanschauung namens „Diasporismus“ verdichten sollte.

Der Pop-Vergleich greift zu kurz

Es ist Eckart Gillen zu verdanken, dass nun erstmals nach der großen Retrospektive der Londoner Tate 1994 das Werk des Künstlers, der im Jahr 2007 durch Suizid aus dem Leben schied, so umfassend zu sehen ist. Der Berliner Kurator, bislang wiederholt als virtuoser Exeget der deutsch-deutschen Bilderwelten hervorgetreten, konnte Kitajs Nachlass in seinem Atelier in Los Angeles sichten. Und was er da nach monatelanger Arbeit in neun Stationen präsentiert, macht schnell klar, dass der Pop-Vergleich viel zu kurz greift.

Von dem amerikanischen Pop-Artisten Robert Rauschenberg schaute sich Kitaj zu Beginn seiner „Karriere“ zwar die Collagetechnik ab. Gehörte dann aber mit seinem Freund David Hockney, den er während des Studiums kennenlernte, zusammen mit Francis Bacon und Lucian Freud zu den Wegbereitern der neuen Figuration der „London School“. 1976 kuratierte er selbst eine Ausstellung mit dem programmatischen Titel „The Human Clay“.

Kitajs flächige, lasierende Malweise, meist ohne Vorzeichnung direkt auf die Leinwand gebracht, verweist auf den Pop. Dafür steckt dann aber wieder zu viel (Kunst-)Geschichte in seinen Bildern. Ein Ölbild aus dem Jahr 1960 etwa greift den Mord an Rosa Luxemburg auf. Oft konstruiert er seine Werke nach Vorbildern aus der Renaissance oder aus dem Mittelalter. Und mit den Kommentaren, mit denen er fast alle seine Bilder versah, wollte der obsessive Bibliomane Bild und Schrift in einer ganz neuen Ästhetik aufheben.

Teil der „London School“

Kitaj gab die Collagen bald wieder auf. Aber selbst die Bildräume seiner expressionistischen Spätphase blieben aperspektivisch und dreidimensional. Und orientierten sich an den fragmentierten Verfahren, die Walter Benjamin als das Kennzeichen des Films beschrieben hatte. Dem deutschen Geschichtsphilosophen, für Kitaj der Urtyp des „Diasporisten“, setzte er mit dem Bild „The Autumn of Central Paris“ von 1972/73 ein Denkmal als „Büchersammler, Flaneur und Großstadtkreatur“.

Die Geschichte des Künstlers Kitaj ist aber vor allem die Wiederentdeckung der jüdischen Identität. Auslösendes Moment war die Lektüre von Hannah Arendts Artikelfolge „Eichmann in Jerusalem“ Anfang 1963 im New Yorker. Der Sechstagekrieg 1967 tat sein Übriges. 1970 schlüpfte die „junge Raupe mit universalistischem Anspruch an die Kunst“, wie Kitaj im Rückblick schrieb, „als jüdischer Schmetterling“.

Als Schlüsselbild wertet Gillen das Bild „Marrano (The Secret Jew)“ aus dem Jahr 1976. Auf dem demonstriert ein Mann in modischen Shorts und mit nackten Beinen Modernität und Exzentrik. So verschwörerisch, wie er jedoch in einen Telefonhörer flüstert, verweist das auf das Klandestine der verborgenen jüdischen Existenz.

Der konvertierte spanische Jude des 15. Jahrhunderts, nach dem er das Bild benennt, wird zur Metapher für das Leben zwischen Nonkormität und Anpassung. Wer die drei Manifeste des „Diasporismus“ durchforstet, die Kitaj ab 1988 veröffentliche, wird keine klare Antwort auf die Frage finden, was die jüdische Kunst ausmachte, von der der Künstler träumte. Immer wieder beklagte Kitaj, die Juden hätten keinen Giotto oder Matisse hervorgebracht.

Jüdischsein mit Widersprüchen

Einen „jüdischen Stil, ähnlich dem ägyptischen Figurenstil“, vermochte aber auch er nicht zu kreieren. Zum Glück wurzelte Kitaj immer in der Moderne. Sein ideologisches Jüdischsein war nicht frei von Widersprüchen. Das Diasporische, das er zu dessen Kennzeichen erhob, hatte Berührungspunkte mit dem Klischeebild des Juden als ruhelosem Ahasver. Seine schon 1994 gestorbene Frau Sandra verehrte Kitaj am Ende seines Lebens wie eine weibliche Gottheit. Und er verstieg sich in die Kabbala.

Dennoch ging es ihm immer darum, das Jüdische als kulturelles Lebensgefühl zu (re-)konstruieren – jenseits von Religion und Nation. Und in Kitajs obsessiv gepflegtem Selbstbild vom Künstler als zerrissener Existenz, „internationalistisch und partikularistisch zugleich“ (1. Manifest), dürften sich auch die Kunstnomaden von heute wiedererkennen.

R. B. Kitaj, 1932 - 2007, Obsessionen. Die Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin läuft noch bis zum 27. Januar 2013.
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