Joan Baez über die Anti-Waffen-Bewegung: „Diese Generation gibt uns Hoffnung“

Die Sängerin macht mit ihrem Album eine letzte große Tour. Im Gespräch äußert sie sich zu Obama und Trump – und darüber, warum sie keine Songs mehr schreibt.

Eine ältere Frau mit kurzen, dunkelgrauen Haaren spielt Gitarre und singt in eine Mikrofon

Joan Baez 2005 bei einer Anti-Kriegs-Demo in Washington Foto: ap

taz: Frau Baez, Sie haben sich nach den Protesten der Schülerinnen und Schüler gegen die Waffengesetze in den USA zuletzt sehr optimistisch gegeben. Ist das ein Funken Hoffnung in Zeiten von Trump?

Joan Baez: Ja. Ich bin eigentlich überhaupt nicht hoffnungsvoll. Seit ich denken kann, war der Zustand der Welt nie so schlecht wie gegenwärtig. Aber es ist wichtig, die Erfolge zu benennen, wenn sie da sind. Und dies ist ein Erfolg. Die Bewegung wirkt frisch, eigenständig, kraftvoll, diese demografische Gruppe gibt uns so viel Hoffnung, wie es lange keine Generation in den USA mehr getan hat.

Woran machen Sie das fest?

Diese Kids haben schon jetzt etwas verändert, weil die politische Atmosphäre anders ist als zuvor. Niemand hat es bislang geschafft, dass die NRA sich bewegt, nun aber scheint sich etwas zu tun. Die United und die Delta Airline haben nach Parkland ihre Verbindungen zur NRA abgebrochen, andere Unternehmen folgten ihnen – auch das ist ein Erfolg.

Fühlen Sie sich bei Demonstrationen wie dem March For Our Lives an die Zeit Ihrer Jugend erinnert?

Nein. Dies ist ja etwas ganz Neues. Bei uns war das anders. Wir waren sehr jung, aber unsere Eltern waren zum Teil dabei, die Organisatoren waren älter. Beim March For Our Lives gehen nun die Eltern am Rande des Marsches und halten Abstand. Eine so junge Generation haben wir vielleicht bei den Demonstrationen in Serbien Ende der Neunziger zuletzt auf der Straße gesehen. Wobei, so jung wie diese Kids waren die damals nicht. Welches Potenzial heute da ist! Dabei habe ich immer gedacht: Diese Generation ist nicht politisch. Das war ein Irrtum.

Auf Ihrem neuen Album „Whistle Down the Wind“ gibt es ja viele Momente der Rückschau. Wenn wir mal das Tom-Waits-Coverstück „Last Leaf on the Tree“ nehmen: Ist das ein positives oder ein negatives Statement, das letzte Blatt am Baum zu sein?

Es ist positiv, und es ist witzig! Tom Waits hat einen guten Sinn für Humor, auch in diesem Song gibt es Verse, die wunderbar blöd sind. Wenn man diesen Song ernst nimmt, wäre das ja deprimierend. Ich bin 77 Jahre alt, machen wir uns nichts vor!

Überrascht hat mich, dass Sie Anthony and The Johnsons „Another World“ covern, und entdeckt habe ich „The President sang Amazing Grace“, ein berührendes Stück der recht unbekannten Zoe Mulford über Obamas öffentlichen Auftritt nach dem Anschlag in Charleston 2015.

Als ich dieses Lied die ersten Male hörte, musste ich weinen. „Another World“ hatte ich schon bei Konzerten gesungen, aber dieser Präsidenten-Song fiel wie ein Wunder vom Himmel. Dieses Album wäre ohne diese beiden Stücke nicht dieses Album. Es hätte nicht diese Kraft. Und diese Aktualität.

Aber der Song ist auch eine Hommage an Obama?

Sicher. Das Stück hat Zoe Mulford kurz nach der Inauguration Trumps geschrieben, glaube ich. Wir waren ja alle ziemlich verzweifelt in jenen Tagen. Dann kam dieser Song.

Die Künstlerin: Joan Baez, 77, ist eine US-Folksängerin. Sie schloss sich den Protesten gegen den Vietnamkrieg an, unterstützte die Civil-Rights-Bewegung und trat 1963 beim „Marsch auf Washington“ auf. In den 60ern und 70ern veröffentlichte sie 17 Alben, seither nur noch zwei.

Die Tour: 31. 5. Hamburg, 25.–26. 7. Wien, 28. 7. Halle, 29. 7. Berlin, 31. 7. Ludwigsburg, 1. 8. Schwetzingen, 3. 8. Köln.

Sie haben Obama 2008 ja unterstützt, aber Sie sagten später, Sie würden ihn nicht noch mal unterstützen. Warum?

Ich habe ihn natürlich noch mal gewählt. Vor seiner ersten Wahl dachte man, er ist der Einzige, der eine Revolution möglich machen kann. Es war eine Aufbruchstimmung, wie es sie 40 Jahre nicht gegeben hatte. Als er kandidierte, war das ein irres Gefühl, Schwarze und Weiße gaben sich High Five in der U-Bahn. Und als er dann ins Oval Office kam, wurde er eben ein Staatsmann. Das hätte einen eigentlich nicht überraschen sollen, so sind die Dinge. Ich mag ihn immer noch. Als jemand, der versucht hat, etwas zu ändern und auch als Staatsmann.

„Whistle Down the Wind“ klingt an vielen Stellen wie ein sehr trauriges Album. Ist es das für Sie auch?

Nein, zumindest nicht bewusst. Vielleicht kommt es deshalb etwa traurig rüber, weil es zu meiner Abschiedstour erscheint, und „Last Leaf on The Tree“ oder „Whistle Down the Wind“ kann man auch so interpretieren. Ich glaube, es ist ein ehrliches Album. Aber klar, der Zustand der Welt ist traurig, der Song „Another World“ ist traurig, und es drückt eigentlich genau das aus, was ich denke.

Sie sagten, es werde Ihr letztes Album sein.

Nein, die New York Times hat das leider so ausgedrückt. Ich habe das noch offengelassen. Wenn es ein besonderes Projekt gibt, wenn jemand eine brillante Idee hat, dann würde ich nicht nein sagen. Was ich nicht tun werde: Songs aussuchen und daraus ein neues Album machen.

Aber Ihre letzte Tour ist es.

Ja, die letzte große Tour. Wir haben sie noch mal ausgedehnt bis ins nächste Frühjahr. Die Konzerte in Deutschland waren so schnell ausverkauft, dass wir 2019 noch weitere Auftritte eingeplant haben. Wir kommen zurück und werden die Tour in Europa beenden. Eigentlich liebe ich das Touren. Ich liebe den Bus und die Busfamilie. Aber dies hier (zeigt auf ihre Stimmbänder) ist schwierig. Der Stimmapparat ist manchmal etwas müde, ich mache Stimmübungen, versuche die richtige Stimmlage zu finden. Aber der Stimmumfang ist auch nicht mehr so groß. Vielleicht ist es an der Zeit, mein Alter zu respektieren. Ich kann ja immer noch einzelne Konzerte geben.

Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten meistens vorhandene Songs neu interpretiert. Warum bevorzugen Sie diesen Ansatz?

Ich schreibe selbst keine Songs mehr, schon seit 28 Jahren nicht mehr – abgesehen von dem verrückten Stück über den Präsidenten vergangenes Jahr („Nasty Man“, siehe unten; d. Red.). Das hat irgendwann einfach aufgehört. Ich schrieb damals etwas, mit dem ich nicht zufrieden war, und dann stellte ich fest, dass es vorbei war damit. Es ist nichts, mit dem ich einfach wieder anfangen kann. Und in den Unterricht gehen und lernen, wie man Songs schreibt, will ich nicht mehr (lacht).

Die 68er in Deutschland ziehen gerade 50 Jahre danach Bilanz. Wie fällt Ihr Rückblick auf die Counterculture von einst aus?

Es war eine internationale Widerstandsbewegung gegen den Vietnamkrieg, die beispielhaft war. Und die erfolgreich war. Wenn Leute sagen: „Schauen Sie sich nur die Kriege heute überall auf der Welt an, die Welt ist nicht besser“, dann sage ich: So kann man das nicht machen. Erfolge bleiben Erfolge, genauso die Civil-Rights-Bewegung, die in den frühen Sechzigern Großes erreicht hat. Es geht immer voran und zurück. Als Reagan ins Amt kam, ging es rückwärts und der Name King wurde auf den Straßen plötzlich nicht mehr respektiert. Und das, was Trump nun tut, ist einfach unfassbar dumm und bringt die Kids auf die Straße, von denen wir sprachen.

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Eine oft geäußerte und verkürzte Kritik ist, dass der globale neoliberale Kapitalismus alle emanzipativen Errungenschaften von einst absorbiert habe.

Ich denke, es wird immer radikale Kräfte geben, die mit dem Erreichten nicht zufrieden sind und die mehr wollen. Was man aber nicht vergessen darf: Die Kräfte, etwas zu absorbieren, sind gewaltig. Und auch die Bereitschaft der Menschen, sich verführen zu lassen. Aktuell passiert in den USA fast täglich so viel, dass das, was wir als normal empfinden, immer neu definiert wird.

Manche sagen, Trump agiere genauso, wie es jene von ihm erwarten, die ihn gewählt haben. Hat er eine Chance auf Wiederwahl?

Ich glaube, er könnte wiedergewählt werden. Mal gucken, was aus der jungen Widerstandsbewegung wird. Im Moment ist alles so Wildwest, „do anything you wanna do…“

Worüber ich mit Ihnen noch sprechen wollte: Sie waren ja damals die Person, die Bob Dylan mit auf Tour genommen …

Oh, ich bin so klug geworden mit der Zeit! Ich kann es schon im Gesicht des Interviewers sehen, wenn diese Frage kommt (lacht). Erst ein einziges Mal in den letzten 25 Jahren hat jemand nicht nach Bob gefragt.

Tut mir leid. Meine Frage wäre, ob Sie nie damit gehadert haben, dass eben diese Verbindung immer gezogen wird. Sie waren schließlich vor ihm bekannt.

Es gab eine Zeit, da hat mich das geärgert. Aber wissen Sie was: Es gibt schlimmere Dinge, als ein Leben lang mit Bob Dylan in Verbindung gebracht zu werden. Das ist doch auch irgendwie eine Ehre.

Sie haben ein Porträt von Dylan gemalt und es vergangenes Jahr bei einer Ausstellung gezeigt. Es zeigt ihn mit skeptischem Blick und Haaren, die wie ein Wald aussehen.

Eine absolute Dylan-Miene. Es war das Cover eines Buches über ihn. Dieses Bild war perfekt, weil es ein für ihn typischer Ausdruck war.

Wenn Sie zukünftig nicht mehr touren, widmen Sie sich dann mehr der Malerei?

Ja, bestimmt. Ich male immer zu Hause. Dazu muss ich allerdings entspannt sein. Wenn ich mich auf eine Tour vorbereite, kann ich nicht malen. Dieses Jahr werde ich noch nicht viel dazu kommen. Aber wenn die Tour zu Ende ist, werde ich vielleicht allen sagen: „Geht mir aus dem Weg“ – und ­malen.

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