Jens Spahn über Flüchtlinge: „Jeder Fall wird intensiv geprüft“

Jens Spahn ist die Hoffnung der rechten CDU. Ein Interview über Abschiebungen, Erdoğan-Fans in Deutschland und Religionsfreiheit.

Jens Spahn am Rednerpult im Bundestag

Hat seine Sendefrequenz gefunden: Jens Spahn Foto: imago/Christian Thiel

taz.am wochenende: Herr Spahn, sind Sie ein Populist?

Jens Spahn: Wie definieren Sie Populist?

Jemand, der zuspitzt, verkürzt, auf Kosten von Minderheiten.

Definitiv nein.

Sie haben gesagt, dass „Parallelgesellschaften und Familienclans ganze Straßenzüge übernommen haben“. Dass es Straßen fast ohne Frauen gebe, „und wenn, dann mit Kopftuch“. Damit fördern Sie die Angst, fremd im eigenen Land zu sein.

Noch mal nein. Ich beschreibe eine Situation. Wir haben in Duisburg, Hamburg und Berlin Straßenzüge, die von Clans beherrscht werden, deutschen Rockerclans oder libanesischen Großfamilien. Das sind teils rechtsfreie Räume, da muss die Polizei mit einer Hundertschaft anrücken, um einen Strafzettel auszustellen. Es gibt zu viele, die nicht mit uns, sondern neben uns her leben, zum Teil auch gegen uns. Solche Probleme müssen wir ansprechen. Sonst machen das die Spalter.

36, ist seit 2002 CDU-Bundestagsabgeordeter und derzeit Staatssekretär im Finanzministerium. Er profilierte sich als Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik und gilt als Nachwuchshoffnung des rechten Flügels der Union.

Marxloh oder Neukölln werden in TV-Sendungen doch als Problemkieze gezeigt – oft drastischer, als es vor Ort ist. Ihre CDU redet sogar von No-go-Areas. Das sind Angstbilder.

Nein, das sind Tatsachen. Würden Sie sagen, dass es in Berlin oder NRW keine Gegenden gibt, in denen Frauen Angst empfinden?

Das ist aber nicht neu. Die gab es vor 50 Jahren auch.

Wenn ich in Berlin-Kreuzberg beim Spaziergang im Görlitzer Park mehrfach offen Drogen angeboten bekomme, dann ist das inakzeptabel. Gehen Sie mit Ihren Kindern durch den Görlitzer Park?

Ich wohne dort, mein Sohn spielt da Fußball. Ihr Parteifreund Henkel, bis vor Kurzem Innensenator in Berlin, hat dort Law and Order praktiziert mit hunderten Polizeieinsätzen pro Jahr. Ergebnis: kein Dealer weniger.

Drogenhandel an öffentlichen Plätzen darf keine Stadt akzeptieren. Wir haben offenkundig ein Problem, Recht durchzusetzen. Es gibt Drogendealer, die als zigfache Wiederholungstäter ein paar Stunden nach der Festnahme wieder frei sind, weil der Richter sagt: Fester Wohnsitz, Verfahren ist in ein paar Monaten, kann erst mal wieder gehen. Wir brauchen aber klare Ansagen, gerade an Täter, die aus ihren Heimatländern eine weniger zimperliche Polizei gewohnt sind. Der Eindruck, dass die deutsche Justiz unfähig ist, Recht durchzusetzen, ist fatal. Und wer 50 Euro Steuerschulden hat, steht mit einem Bein im Gefängnis.

Der brave Bürger wird wegen Kleinigkeiten belangt, der migrantische Drogendealer läuft frei herum – das ist Populismus, Herr Spahn.

Nein, bei Strafzetteln oder Steuern funktioniert die Durchsetzung des Rechts knallhart, an anderen Stellen eben nicht. Nehmen Sie den Fall Anis Amri, der mit 14 Identitäten unterwegs war und Sozialbetrug beging. Oder Intensivstraftäter, die immer wieder freikommen, obwohl sie ausreisepflichtig sind.

Migranten tauchen bei Ihnen nur als Problem auf. Sie gefährden die Sicherheit, sie bedrohen uns, müssen kontrolliert werden.

Das ist Quatsch. Ich weise immer wieder darauf hin, dass wir Millionen guter, erfolgreicher Integrationsgeschichten in Deutschland haben. Ich will die offene Gesellschaft, ich liebe Vielfalt. Vorbehalte gegen Menschen, die anders sind als man selbst, bauen sich meist nur durch den direkten persönlichen Kontakt ab. Aber wir reden zu wenig über die Probleme.

Sie reden dauernd darüber.

Stimmt. Und dann heißt es pauschal „Populist“ oder „Rassist“. Da machen es sich viele zu einfach. Nicht alles, was kulturell anders ist, ist per se eine Bereicherung. Die kulturell verankerte Machokultur mancher Migranten oder Mädels, die nicht zum Schwimmunterricht gehen dürfen, passen mit unseren Werten schlicht nicht zusammen. Mir geht es da um das Grundsätzliche. Ich habe mit dem orthodoxen Juden, der einer Frau nicht die Hand gibt, genauso Probleme wie mit einem Imam, der einer Frau nicht die Hand gibt. Wenn das Frauenbild, das in manchen Moscheen Alltag ist, in einer katholischen Dorfkirche im Münsterland gepredigt würde, würde die taz das zu Recht anprangern. Warum nicht der gleiche kritische Blick auf den Islam wie auf die katholischen Kirche? Mehr will ich nicht.

Macht Ihnen der Applaus von rechts keine Sorgen?

Mich sorgt eher, dass die offene Gelassenheit, zu der unsere Gesellschaft über die Jahre gegenüber Neuen, Fremden, Anderen, etwa im Umgang mit Schwulen und Lesben, gefunden hat, unter Druck ist – und zwar von rechts wie durch einen reaktionären Islam gleichermaßen. Denn was in den Moscheen stattfindet, ist zu oft nicht auf Integration und Offenheit gegenüber unserer Gesellschaft angelegt, sondern auf Abschottung gegen die angeblich Ungläubigen. Deutschland braucht Regelungen, damit viele Moscheegemeinden nicht mehr aus der Türkei oder Saudi-Arabien finanziert werden. Ziel ist doch, dass die Moscheegemeinden in der deutschen Gesellschaft ankommen.

Also ein Islamgesetz?

Integrationsgesetz, Imamgesetz, Islamgesetz – der Name ist egal.

Eine Lex Islam kollidiert aber mit Artikel 4 des Grundgesetzes: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Da steht nicht: „Die ungestörte Religionsausübung in deutscher Sprache oder so, wie die CDU sich das vorstellt, wird gewährleistet.“

Religionsfreiheit ist nichts Freischwebendes. Die Frage ist: Will Ditib als Moscheenverband ein Ableger der türkischen Reli­gions­behörde bleiben oder mit uns gemeinsam den Weg zu einer aus Deutschland finanzierten muslimischen Gemeinde gehen? Diese Frage muss erlaubt sein. Es muss möglich sein, schädliche Auslandsfinanzierung von Moscheen gesetzlich zu unterbinden.

Soll das Verbot, Geld aus dem Ausland zu bekommen, nur für islamische oder für alle reli­giösen Gemeinschaften gelten?

Das hängt ja davon ab, wie man das angeht. Ich weiß nur: Die Integration von Millionen Muslimen mit ihrem Glauben ist die größte gesellschaftspolitische Aufgabe in Westeuropa und in Deutschland. Die muss auf die Tagesordnung. Ich kann mit keinem der Imame zu Hause im Münsterland Deutsch reden. Wir brauchen mehr Imame, die in Deutschland ausgebildet werden. Dafür sollten wir auch deutsche Steuermittel einsetzen. Welche weiteren Defizite es gibt, hat auch das Abstimmungsverhalten vieler Türken in Deutschland gezeigt. Türkische Migranten, die zwar Deutsch ­sprechen, einen guten Job haben und trotzdem die Flagge für Er­do­ğans Verfassung und die Todesstrafe schwenken – das soll gelungene Integration sein?

Integrationsprozesse verlaufen nicht linear, sondern im Zickzack. Das muss man akzeptieren, auch wenn es manchmal schwerfällt. Glauben Sie, dass Drohungen – etwa als Strafe den Doppelpass wieder abzuschaffen – wirklich etwas bringen?

Mehrstaatlichkeit führt auf Dauer jedenfalls nicht zum Ziel. Gesellschaften funktionieren nur über Zusammenhalt und eine gemeinsame Identität. Beides löst sich auf, wenn zu viele zwei, drei oder noch mehr Pässe haben. Wir können von der zweiten oder spätestens der dritten Einwanderergeneration erwarten, dass sie für sich sagt: Wir sind Deutsche. Das hier ist unsere Heimat. Man kann die Kultur der Großeltern auch ohne deren Pass pflegen. Der Doppelpass wird auch bei dem Teil der Syrer, der dauerhaft bleiben wird, mal ein Thema werden. Wenn sie hier schon leben, wäre es schön, wenn die zweite und dritte Generation der Syrer dann nur einen deutschen Pass haben wird.

Wenn sie hier schon leben? Sie haben einen permanent abwertenden Unterton gegenüber Minderheiten . . .

Das ist wirklich Quatsch.

Deutschland schiebt nach Afghanistan ab. Finden Sie das korrekt?

Jeder einzelne Fall wird vorher intensiv geprüft. Bei vielen Afghanen entscheiden die Behörden, dass sie bleiben können.

Das perfekte Paar, das sagten die Freunde. Sie liebten sich, aber er hatte keine Lust mehr, mit ihr zu schlafen. Wie liebt es sich ohne Sex? In der taz.am wochenende vom 28./29. April erzählen die beiden ihre Geschichte. Außerdem: Im Ruhrgebiet werben SPD und AfD um die gleichen Wähler. Und: Superfood ist der neue Fetisch der jungen Spießer. Wieso der Trend jetzt bald zu Ende ist. Das alles am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo

Das Bundesinnenministerium kann nicht definieren, welche Gegenden in Afghanistan sicher sind. Deutschland schiebt also Migranten in den möglichen Tod ab.

Wenn wir jedes Land, in dem es Attentate und Gewalt gibt, generell von Abschiebungen ausklammern, heißt das: Jeder kann bleiben. Damit verstärken wir den Anreiz, hierherzukommen.

Ist es denn vertretbar, Flüchtlinge in ein Land schicken, in dem Taliban Terroranschläge verüben?

In Afghanistan leben 35 Millionen Menschen. Wenn es dort so gefährlich ist – wollen Sie diese 35 Millionen nach Europa, nach Deutschland holen?

Wieder ein Angstbild. Es geht um jene, die abgeschoben werden sollen. Kürzlich hat sich in Bayern ein afghanischer Flüchtling aus Furcht vor der Abschiebung getötet. Wie empfinden Sie das als Katholik?

Da brauchen Sie mich nicht als Katholik fragen, es reicht, wenn Sie mich als Mensch ansprechen. Jede Selbsttötung tut mir weh. Aber welche Schlussfolgerung soll ich daraus ziehen? Niemand mehr abzuschieben?

Jedenfalls in kein Land mit unklarer Gefahrenlage. Deswegen schieben zum Beispiel Berlin und Schleswig-Holstein auch nicht nach Afghanistan ab.

Ja, das bringt Applaus, ist aber keine Lösung. Es gibt derzeit viel zu viele Menschen in Deutschland, die ausreisepflichtig sind. Und am Ende müssen wir die rechtsstaatlich getroffene Entscheidung auch durchsetzen. Wenn wir das nicht tun, geht die Akzeptanz für unser Asylrecht schneller verloren, als uns dreien lieb ist.

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