Islamisten in Wuppertal: Ein bisschen Scharia haste immer

Bei aller Empörung über die Patrouillen von Salafisten in Wuppertal: Ein bisschen Scharia herrscht auch in Vierteln wie Berlin-Kreuzberg.

Türkischer Lebensmittelladen in Berlin: Schnaps höchstens unter der Theke. Und nur, wenn man das Codewort kennt. Bild: Imago/Schöning

Ziemlich genau zehn Jahre ist es her, da hatte der CDU-Politiker Jörg Schönbohm eine Idee: „Wir müssen vermehrt Ermittler einsetzen, die Arabisch und Türkisch sprechen“, sagte der damalige Brandenburger Innenminister. „Auch in den Ausländervierteln müssen Recht und Ordnung herrschen.“

Die Bild-Zeitung bastelte daraus die hübsche Schlagzeile „CDU-Politiker fordern Islam-Polizei!“, und man konnte sich gut ausmalen, wie in Kampfsport und Integrationswissenschaft ausgebildete, also kulturell sensible Beamte mit Socken an den Füßen irgendwelche Hinterhofmoscheen stürmen würden, um deutschenfeindliche Fatwas aus dem Verkehr zu ziehen.

Die Idee mit der „Islam-Polizei“ lässt auf sich warten, erst gerade wurde bekannt, dass der ARD-„Tatort“ eine höhere Ausländerquote hat, als im wirklichen Leben türkisch- oder arabischstämmmige Polizisten ihre Landsleute bewachen.

Dafür gibt es nun etwas anderes: die Wuppertaler „Scharia-Polizei“, die mit geringem Aufwand große Aufmerksamkeit erzielt hat – weitaus mehr als etwa die Bürgerwehren, die an den Ostgrenzen der Ostzone auf Patrouille gehen.

Doch ein Sachverhalt geht bei aller (berechtigten) Aufregung im Allgemeinen – also über die bereits im Wort „Scharia-Polizei enthaltene Anmaßung – und den (berechtigten) Ruf, wegen ein paar zotteliger Spinner in Plastikweste nicht in Hysterie zu verfallen, unter: Ein bisschen Scharia herrscht in vielen anderen „Ausländervierteln“ schon jetzt.

Kreuzberg zum Beispiel. Als in den siebziger Jahren hier wie anderswo im Lande die ersten türkischen Lebensmittelgeschäfte eröffneten, führten die im Sortiment all das, was in deutschen Supermärkten damals nicht zu haben war: Zucchini, Oliven und Rakı, den türkischen Nationalschnaps. Heute haben in Kreuzberg etliche angesagte Bars jüngere türkische Betreiber, von denen einer, Kaan Müjdeci, gerade bei den Filmfestspielen in Venedig den Spezialpreis der Jury bekommen hat (Respekt!).

Schnaps nur mit Codewort

Rakı steht heute auch bei Kaiser’s im Regal. In den klassischen türkischen Lebensmittelgeschäften aber, die bemerkenswerterweise dem Sterben des Einzelhandels trotzen, sucht man vergebens danach. Eine Ausnahme gibt es: ein Laden, der von Aleviten betrieben wird, einer sympathischen Minderheit, für die der Alkoholgenuss fester Bestandteil des sozialen oder gar des spirituellen Lebens ist. Dieser Laden führt noch Rakı. Aber nicht im Regal. Man muss schon das Codewort kennen, damit einem ein Laufjunge beim Verlassen des Geschäfts eine in Zeitungspapier eingepackte Flasche zusteckt.

Ob aus sozialem Druck oder Geschäftssinn oder Opportunismus aus allen Gründen auf einmal – Alkohol gibt es in keinem Kreuzberger türkischen Lebensmittelladen. Und was sogar für ein kosmopolitisches Viertel wie Kreuzberg gilt, gilt erst recht für ein Viertel wie den Wedding, wo nicht nur die Zusammensetzung der Bevölkerung insgesamt eine andere ist. Fatih heißt der Wedding unter Kreuzbergern nach dem ultrakonservativen Bezirk in Istanbul.

Nicht Salafisten, nur AKP

Das ist nicht die Scharia in der Vorstellung der Salafisten, es ist nur die gewöhnliche Islamisierung des Alltags, die sich in der Türkei unter der Führung von Recep Tayyip Erdogan und seiner AKP vollzieht. Der (öffentliche) Genuss von Alkohol ist ein symbolisch wichtiger Punkt dafür, weshalb bei den Geziprotesten im vergangenen Jahr die Angst um den Verlust des säkularen Lebensstils zu den wichtigsten Motiven zählte. „Auf dein Wohl, Tayyip“, riefen Demonstranten mit Bierdose in den Händen. Eine sehr politische Parole.

Diese Light- und Realoversion der Scharia zeigt sich auch an anderen Punkten. So ist es für türkisch oder arabisch aussehende Frauen kein Vergnügen, im Minirock durch den Wedding zu laufen. Auch nicht zu empfehlen: dort als schwules Pärchen Händchen zu halten oder eine Kippa zu tragen. Nur in Sachen Glücksspiel ist der Alltag weit von dem entfernt, wovon diese Freaks in Plastikwesten träumen. Schwer zu sagen, ob das auch gut so ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.