Iris Bohnet gibt Tipps zur Gleichstellung: Ungleichheiten aufbrechen

Verhaltensökonomin Iris Bohnet hat mit „What works“ ein Handbuch für Gleichberechtigung geschrieben. Denn: Stereotype loswerden ist möglich.

Hillary Clinton hält eine Rede

Nur ein kurzer Blick auf Hillary Clinton und Mädchen können Tests besser bestehen Foto: ap

Hätten die Verantwortlichen der Berliner Alice-Salomon-Fachhochschule, bevor sie Eugen Gomringers hübsches (aber perspektivisch einseitiges) kleines Gedicht „avenidas“ turmhoch auf ihre Fassade pinseln ließen, Iris Bohnet gefragt, was sie davon halte, hätte sicher viel Ärger vermieden werden können.

Bohnet, gebürtige Schweizerin, ist Wirtschaftsprofessorin in Harvard. Ihr Spezialgebiet ist die Verhaltensökonomie. Neben ihrer Lehrtätigkeit berät Bohnet weltweit Unternehmen in Fragen der Gleichstellung und Chancengerechtigkeit. Das betrifft Genderthemen, aber nicht nur; es geht um die möglichst gleichberechtigte Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen am Wirtschaftsleben.

Jetzt hat Iris Bohnet ein Buch geschrieben, dessen deutsche Ausgabe den kosmopolitisch-lapidaren Titel „What works“ trägt. Sein Untertitel, „Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann“, kommt reichlich vollmundig daher, aber dafür sollte man wohl nicht die Autorin verantwortlich machen. Wenn sich die Gesellschaft als Ganzes nach den Einsichten und sehr pragmatischen Ratschlägen, die Bohnet hier bündelt, auch nur reformieren ließe, wäre schon viel erreicht.

„Verhaltensdesign“ ist etwas, was in good old Europe im besten Fall in den Kinderschuhen steckt, in den USA hingegen vielerorts sehr bewusst eingesetzt wird, um verkrustete Strukturen aufzubrechen. Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, die vorherrschenden Stereotypen gar nicht erst die Chance geben, ihre Wirkung zu entfalten. (Deshalb ist dort drüben bei Stellenausschreibungen auch die anonymisierte Bewerbung ohne Foto üblich geworden.)

Als sinnfälliges Beispiel führt Bohnet eine Praxis an, die seit nunmehr vielen Jahren beim Vorspielen für Musikerstellen in amerikanischen Orchestern zur Anwendung kommt: Es findet hinter einem Vorhang statt, sodass die Auswahlkommission nicht sehen kann, welches Geschlecht und welche Hautfarbe die Spielenden haben. Seither ist der Frauenanteil an den ­OrchestermusikerInnen enorm gestiegen (von 5 Prozent in den siebziger Jahren auf 35 Prozent).

Mühsamer Prozess für die Gesellschaft

Von vier Kapiteln widmet Bohnet ein ganzes der Bestandsaufnahme und der Benennung des Problems: der Schwierigkeit, unbewusste Vorurteile und Stereotype zu erkennen und zu überwinden. Allein der Raum, den dieses Kapitel einnimmt – ein Drittel des Buches – zeigt die Komplexität des Themenfeldes. Für Einzelne ist es fast unmöglich, sich gegen vorherrschende Stereotype zu behaupten; für die Gesellschaft als Ganzes ist es ein mühsamer Prozess, der deswegen durchaus der Unterstützung durch gezielte Maßnahmen bedarf.

Auch eine Quote kann dabei hilfreich sein, wie Bohnet anhand einer Studie aus Indien zeigt, wo 1993 per Verfassungszusatz festgelegt wurde, dass ein Drittel der Sitze in den Dorfräten für Frauen reserviert sein muss. Mangels weiblicher Vorbilder auf diesem Gebiet herrschte vorher die allgemeine Überzeugung vor, dass Frauen für die Ausübung politischer Ämter generell ungeeignet seien.

Algorithmen wissen besser als Menschen, wie man ein gut diversifiziertes Team zusammenstellt

In den Jahren nach Einführung der Quote änderte sich das radikal: Es waren neue Rollenbilder geschaffen worden. Die ­reale Existenz von Frauen in politischen Ämtern bewirkte eine grundlegende Änderung der Einstellung gegenüber weiblichen Dorfräten bei Angehörigen beiderlei Geschlechts.

Wie unbewusst Rollenbilder und Stereotype wirken, haben viele Studien gezeigt, von denen Bohnet zahlreiche anführt. So schnitten 5- bis 7-jährige indische Mädchen bei Rechentests schlechter ab, wenn man ihnen vorher statt eines neu­tralen Landschaftsbilds ein Bild von einem Mädchen gezeigt, sie also an ihr Geschlecht erinnert hatte.

Mit Vorbild gute Performance

In einer amerikanischen Studie wiederum wurde weiblichen und männlichen Versuchspersonen, kurz bevor sie eine Rede halten sollten, für Sekundenbruchteile ein Bild von Hillary Clinton, Angela Merkel oder Bill Clinton gezeigt.

Ergebnis: Die Frauen, die unbewusst Hillary oder Angela gesehen hatten, hielten längere und eindrucksvollere Reden als ihre Schwestern in der Bill-Kontrollgruppe. (Eine andere Studie ergab, dass es auch schon ausreichte, sich eine „starke Frau“ vorzustellen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.) Bei den männlichen Versuchsteilnehmern hatte keines der gezeigten Bilder eine nennenswerte Auswirkung auf ihre Performance.

Iris Bohnet: „What works“. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer.C.H. Beck, München 2017, 381 Seiten, 26,95 Euro.

Angesichts dieser enormen Beeinflussung durch stereotype (Vor-)Bilder pflegt Iris Bohnet die Unternehmen, die sie weltweit berät, darauf hinzuweisen, das es „kontrastereotypen Assoziationen von Geschlecht und Führungsfähigkeiten nicht gerade förderlich“ sei, wenn die Wände ausschließlich mit den Porträts früherer (natürlich in der Regel sämtlich männlicher) CEOs geschmückt werden, räumt aber ein: „Auch an der [Harvard] Kennedy School hatten wir noch vor zehn Jahren nur Porträts von Männern an den Wänden.“

Es ist halt ein langer Weg. Für viele Frauen lässt er sich vielleicht abkürzen, wenn sie das Glück haben, für ein Unternehmen zu arbeiten, dessen Führungskräfte dieses Buch nicht nur gelesen haben, sondern seine Einsichten und pragmatischen Handlungsvorschläge auch ernsthaft nachvollziehen.

Fakten und Handlungsanweisungen

Für alle anderen: „What works“ ist kein sozialpsychologisches Überblickswerk, sondern ein faktenreiches Managementhandbuch. Es lässt sich auch für businessferne Elemente mit großem Gewinn lesen. Für die Businesspersonen wiederum, die für die Langlektüre keine Zeit haben, gibt es am Ende jedes Abschnitts klare Handlungsanweisungen.

Eine der wichtigsten: „Nutzen Sie Daten bei Perso­nal­entscheidungen.“ Algorithmen nämlich wissen besser als Menschen, wie man ein gut diversifiziertes Team zusammenstellt. Menschen dagegen tendieren auf fatale Weise dazu, immer solchen Personen den Vorzug zu geben, die ihnen selbst ähnlich sind.

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