Interview zur Abschaffung der Bahncard: „Durch Zwei teilen kann jeder“

Schon einmal hat die Bahn die Bahncard abgeschafft. Einer ihrer Erfinder erinnert sich. Und erzählt, wie sein psychologischer Trick funktioniert.

„Der normale Effekt eines mehrteiligen Preissystems“: Umtauschaktion der Bahncard im Jahr 2003. Bild: ap

taz.am wochenende: Herr Tacke, Kann man das so sagen: Sie sind der Erfinder der Bahncard?

Georg Tacke: Das ist ein großes Wort. Wir haben seinerzeit das Beratungsprojekt für die Bahn durchgeführt, und ich war der Projektleiter. Insofern können Sie das so nennen. Genauso kann man aber auch den seinerzeitigen Personenverkehrsvorstand Hemjö Klein nennen – denn mit ihm oder für ihn haben wir das Projekt gemacht. Wir waren bei Simon Kucher damals eine sehr kleine Beratungsgesellschaft, aber bereits klar auf das Thema Pricing spezialisiert. In meiner Dissertation „Nichtlineare Preisbildung“ finden Sie beispielsweise genau solche Konzepte.

Und warum fand die Bahn, dass sie ein neues Preiskonzept brauchte?

Es gab drei Gründe: Erstens das undurchsichtige Preissystem. Das führte zu Intransparenz und niemand wusste, wie teuer die Bahn ist. Zweitens lag die Zugauslastung im Fernverkehr bei unter 40 Prozent – das heißt: nahezu leere Züge. Airlines fangen bei einer Auslastung von unter 80 Prozent an zu weinen. Und drittens der massive Wettbewerb, durch den Individualverkehr, also das Auto. Die Marktforschung bestätigt uns, dass der Kunde sein Verkehrsmittel sehr vereinfacht auswählt, nämlich: Wie teuer ist das Bahnticket und was kostet der Sprit? Gegen die reinen Spritkosten, das hatte die Bahn erkannt, hat sie immer einen strukturellen Nachteil.

Welche Vorgaben hat die Bahn Ihnen gemacht?

Die Idee, so etwas wie die Bahncard einzuführen, existierte schon. Es gab da ja beispielsweise auch schon das Halbtax-Abonnement bei der SBB...

...der Schweizer Bundesbahn...

...genau. Ich habe danach auch mit dem Marketing-Vorstand der SBB gesprochen und nach deren Erfahrungen gefragt und den Fehlern, die man vermeiden sollte.

War das das einzige Konzept, das Sie in Betracht gezogen haben?

Andere Ideen wurden zwar angedacht, aber schon nach relativ kurzer Zeit begraben. Wirklich durchsimuliert haben wir dann unterschiedliche Bahncard-Varianten. Die Fragen waren dann: 50 Prozent Rabatt oder 25? Oder ein Drittel? Wie hoch muss man den Bahncard-Preis ansetzen?

Georg Tacke, 55, ist Geschäftsführer der Unternehmensberatung Simon-Kucher in Bonn. Er fährt etwa 30- bis 40-mal im Jahr mit dem Zug, meist die Strecke Bonn-Frankfurt, aber auch schon mal nach Stuttgart. Und natürlich hat er eine Bahncard: Version 50, 1. Klasse.

Wie haben Sie den Preis festgelegt?

Wir haben mit knapp 10.000 Bahngästen gesprochen, die meisten Interviews wurden im Zug geführt. Dabei haben wir Dinge wie Preisbereitschaft gemessen. Als Optimum haben wir einen Rabatt von 50 Prozent und einen Kartenpreis von damals etwa 220 Mark ermittelt. Interessanterweise haben die 50 Prozent Rabatt beim Kunden einen sehr hohen Wert. Ein Grund hierfür ist sicherlich die Einfachheit: Den Preis durch Zwei teilen kann jeder. Rational begründen lässt sich das nicht.

Warum braucht man überhaupt eine Rabattkarte? Die Bahn hätte doch auch in der Breite die Preise senken können.

Im Schnitt geben Sie dem Bahncard-50-Kunden 30 Prozent Rabatt. Wenn der Personenverkehr mit Bahncard 50 jetzt ein Viertel des Umsatzes ausmachen würde, hätten Sie 30 Prozent auf ein Viertel und könnten jedem Kunden 7,5 Prozent geben. Das hätte aber auf keinen Fall die gleiche Wirkung. Denn die Wahrnehmung der Bahncard ist ja: Ich spare 50 Prozent.

In Wirklichkeit sind es aber nur etwa 30 Prozent, weil der Kunde ja erst die Bahncard kaufen muss. Warum merkt er das nicht?

Der Kartenpreis gilt als „sunk costs“ – die sind weg. Sie fließen nicht mehr in die Entscheidung des Kunden ein, ob er mit der Bahn oder dem Auto fährt. Bei jeder dieser Entscheidungen legt er den 50-Prozent-Rabatt zugrunde. Das heißt, die Bahn erzeugt bei jeder einzelnen Bahnfahrt einen 50-Prozent-Effekt, gibt aber nur 30. Da müssen Sie erst mal etwas Intelligenteres finden.

Was die Bahn an der Bahncard stört und warum ein Manager rausflog, der sie einmal abschaffte, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 14./15. März 2014. Außerdem: Wo man Drohnen präsentiert als wären sie Diamanten: Auf der größten Waffenmesse der Welt in Abu Dhabi. Ein Gespräch mit dem supergeilen Friedrich Liechtenstein. Und: Kohle oder Gas? Der Streit der Woche zum Auftakt der Grillsaison. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ist das ein gängiger Trick beim Pricing?

Das ist kein Trick, sondern der normale Effekt eines mehrteiligen Preissystems. Es ist wie beim Auto: Sie haben es einmal gekauft und schauen dann bei jeder Fahrt nur noch auf den Spritpreis. Wertverlust, Servicekosten spielen keine Rolle. Den schönen Begriff des „total cost of ownership“ hat insbesondere der Privatkunde nicht im Hinterkopf; er nimmt die tatsächlichen Kosten nur teilweise wahr.

Wie haben die Kunden die Einführung der Bahncard damals aufgenommen?

Das war eine riesige Marketingaktion. In dem Fall auch notwendig, immerhin kam ja ein komplett neues System in den Markt. Die Bahncard wurde dann auch hervorragend angenommen, immerhin gab es einen Aufstand, als man die Bahncard 2002 wieder abschaffen wollte.

Warum ist die Abschaffung schiefgegangen?

Man hat versucht, ein Flugpreissystem für die Bahn einzuführen – das ist grandios gescheitert.

Das heißt, sich an der Auslastung zu orientieren?

Nicht unbedingt. Man wollte eine relativ strikte Zugbindung einführen. Die Möglichkeit, einfach zum Bahnhof zu gehen, sich ein Ticket zu kaufen und in den Zug zu steigen, wurde stark eingeschränkt, die Freizügigkeit begrenzt. Ein Widerspruch: Mit der Bahncard wurde der Taktverkehr eingeführt. Der Kunde konnte sich darauf verlassen, dass Züge auf bestimmten Strecken regelmäßig fuhren, zum Beispiel stündlich. Und jetzt habe ich einerseits ein hochfrequentes Verkehrsmittel und auf der anderen Seite eine geringe Flexibilität.

Die Bahn hat die Bahncard also einseitig abgeschafft, und als der Laden zusammenbrach, hat man Sie um Hilfe gebeten?

Wenn Sie es so ausdrücken wollen…

Das klingt nach einem typischen Mehdorn.

Wieso?

Weil er als jemand gilt, der solche Dinge im Alleingang durchzieht.

Herr Mehdorn war bei der Abschaffung der Bahncard nicht federführend. Zuständig war der Vorstand für Personenverkehr.

Jetzt wird wieder über die Abschaffung der Bahncard diskutiert. Werden der Bahn die Rabatte zu hoch, weil zu viele Leute die Bahncard nutzen?

Eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Je mehr Kunden eine Bahncard 50 kaufen, desto mehr Personen sind darunter, die die Bahncard gar nicht ausnutzen. Also wird es günstiger für die Bahn. Viele kaufen sich die Bahncard auch, weil sie die Convenience schätzen: Sie können jederzeit hingehen und zahlen 50 Prozent. Wir haben Kunden testweise vorgerechnet, dass sie die Bahncard 50 gar nicht ausgenutzt hatten und eine Bahncard 25 besser gebrauchen könnten. Die wollten die Bahncard 50 aber behalten, schon für den Fall, dass sie doch mal mehr fahren. Der Mensch handelt nicht immer rational.

Was würden Sie anders machen, wenn Sie noch mal ein Preissystem einführen könnten?

Ich würde die Bahncard 50 wieder einführen, aber auch die Bahncard 100 stärker forcieren. Die Schweizer Version, das Generalabonnement, wird 440.000-mal verkauft. Auf Deutschland übertragen wären das 5 Millionen, wobei man das natürlich nicht 1:1 vergleichen kann. Die SBB wird Ihnen bestätigen, dass das enorme Effizienzvorteile mit sich bringt: Ein Bahncard-100-Kunde muss niemals ein Ticket kaufen, was sich direkt auf Vertriebsprozesse, Automaten etc. auswirkt.

Okay. Was noch?

Man hätte die Bahncard auch stärker mit neuen Technologien verknüpfen können wie etwa kontaktloses Ticketing oder aber Apps, wie man sie vom Fahrdienstanbieter Uber kennt. Solche Innovationen könnte man zuerst bei Bahncard-Kunden einführen. Inhaltlich hat sich die Bahncard während der letzten 20 Jahre kaum verändert. Da hätte man mehr tun können.

Kurzfristig muss die Bahn auf die neue Fernbuskonkurrenz reagieren, die ihr merklich Marktanteile abnimmt – 120 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr...

...das finde ich medial aufgebauscht. Bei 4 Milliarden Euro Bahn-Umsatz allein im Fernverkehr reden wir über drei Prozent, wobei ich die auch nicht kleinreden will.

Sie sehen keine Chance, dass die Bahn deren Preissystem übernimmt?

Bus und Bahn sind vom System und von der Kostenstruktur her völlig verschieden. Insofern macht es keinen Sinn, ein Buspreissystem zu übernehmen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Bahn ihre Preise in Zukunft fallweise noch stärker speist – und zwar nach unten und nach oben. Zu Stoßzeiten morgens oder abends könnte sie beispielsweise mehr nehmen, eine Art Peak-Zuschlag verlangen.

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