Interview mit „Türkland“-Autorin: „Unsere Eltern waren ausgebrannt“

Die Leseperformance „Türkland“ thematisiert migrantische Traumata. Ein Gespräch mit Dilşad Budak Sarıoğlu über Migrantenkrankheiten und Unbehaustsein.

„Ich hatte das Gefühl, es beiden Welten nicht recht machen zu können“, sagt die Autorin Foto: Navid Linnemann

Die Leseperformance „Türkland“, eine Adaption von Dilşad Budak Sarıoğlus autobiographischem Manuskript, erzählt von der Migrationserfahrung einer erwachsenen Frau, deren Familie in Deutschland Asyl erhielt, als sie noch ein Kind war. Regie führt İrem Aydın, die Projektkoordination übernahm Neslihan Yakut, auf der Bühne stehen die Theaterschauspielerin Ilgıt Uçum und Autorin Sarıoğlu. Seit Dezember 2017 wird das multimediale Stück in Kooperation mit der deutsch-türkischen Kulturplattform Maviblau in Deutschland und der Türkei aufgeführt.

Wir sprachen mit der Autorin Dilşad Budak Sarıoğlu über das Leben als „Almancı“, Migrantenkrankheiten und darüber, wie schwer es ist, sich gegen Rassismus zu wehren.

taz gazete: Die Performance fokussiert stark auf das Thema Unbehaustsein. In der Dilşad-Figur tritt das Migrationstrauma beim Thema Heiraten auf. Bedeutet Migration Unbehaustsein? Was bedeutet ein Haus, ein Zuhause für eine Migrantin?

Dilşad Budak Sarıoğlu: Ich bin gerade zum ersten Mal im Leben in eine Wohnung gezogen, in der ich mich zu Hause fühle. Vorher konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass es ein solches Gefühl überhaupt gibt. In mir trage ich aber auch ständig ein nomadisches Gefühl. Darüber habe ich auch mit anderen migrantischen Menschen gesprochen, bei allen hält sich dieses Gefühl mehr oder weniger. Ein Teil von uns sehnt sich permanent nach einem anderen Zuhause. Ich lebe seit sieben Jahren in der Türkei, doch wenn ich hier bin, vermisse ich Deutschland und die dort gebliebenen Menschen, die mir nahestehen. Bin ich aber dort, vermisse ich Istanbul. Diese Sehnsucht trage ich ständig im Herzen.

Wie trat das Thema Migration in Ihr Leben?

Mein Vater verließ die Türkei aus politischen Gründen, als ich sechs Monate alt war, meine Mutter floh, als ich acht Monate war. Als ich anderthalb war, brachte mich eine andere Familie als ihr eigenes Kind ins Ausland, dafür bezahlte meine Mutter mit ihren Armreifen. Eine Weile war unsere Familie bei einer türkischen sozialistischen Organisation in Paris. Dann mussten meine Eltern vor der Organisation flüchten, ich aber blieb noch einen Monat lang dort. Als meine Eltern in Deutschland Asyl erhielten, sorgten die Älteren der Familie dafür, dass ich zu ihnen kam. Dort bin ich dann aufgewachsen.

Wie kam es zu der Entscheidung, in die Türkei zu gehen?

Es war mein Traum, in Istanbul zu leben. Als mein Mann Cengiz, der auch in dem Stück vorkommt, in mein Leben trat, zog ich nach zwei Jahren Fernbeziehung kurzentschlossen nach Istanbul um. Ich war damals ständig krank. In Deutschland ging gar nichts mehr, privat nicht und beruflich auch nicht. Ich wurde einfach nicht gesund, auch die Ärzte wussten nicht weiter. Meine damaligen Ärzte sagten: Ja, machen Sie das!

In dem Stück reden Sie von „Migrantenkrankheiten“. Was ist das?

„Migrantenkrankheiten“ ist ein soziologischer Begriff. Er beschreibt kein konkretes medizinisches Symptom, in diese Definition fallen alle möglichen Erkrankungen. Chronische Krankheiten, Erschöpfungszustände, Burnout-Syndrom. Krankheiten, die auftreten, wenn sich unverarbeitete Ängste und Traumata aus der Zeit während und nach der Migration aufstauen. Meine chronischen Krankheiten kamen daher, dass ich zu viel von mir verlangte. Als ich „Türkland“ schrieb, merkte ich, dass ich das Gefühl hatte, es beiden Welten nicht recht machen zu können. Ständig der Versuch, sich zu beweisen, sich unzulänglich fühlen, immer mehr arbeiten müssen und trotzdem das Gefühl haben, Erfolg nicht verdient zu haben: Daraus resultierte das Gefühl, sich extrem aufzureiben. Die Traumata, als Kind verlassen worden zu sein und sich dann wiederum als Kind in einem unbekannten Land einzuleben, machen sich später erneut bemerkbar, und wenn du die Signale nicht erkennst, werden ein paar Krankheiten in deinem Körper chronisch.

Auch die Autorin Fatma Aydemir wies in ihrem Essay „Arbeit“ im „Eure Heimat ist unser Albtraum“ darauf hin, dass Burnout unter Migrant*innen häufig ist, es aber ignoriert werde und immer nur weiße Deutsche damit assoziiert würden.

Genau, es wird so getan, als könnten wir gar kein Burnout haben, und wir glauben das auch noch. Die deutsche Gesellschaft kümmert sich nicht genug um unser emotionales und psychisches Empfinden, und wir haben nicht genug von uns erzählt, denn den Generationen vor uns war all das nicht bewusst. Unsere Familien haben unter verdammt schwierigen Bedingungen gearbeitet, haben 30 Jahre in der Fabrik oder im Bergwerk gelassen. Wir sind die Kinder einer Generation, die sich nicht zugestand, ausgebrannt zu sein. Meine Familie floh nach dem Putsch, ihre Vergangenheit ist absolut traumatisch. Und ich habe immer gedacht, wenn sie mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, habe ich nicht das Recht auf Burnout. Sie haben sich auch uns gegenüber so benommen, als wäre Burnout eine Luxuskrankheit. Jahrelang konnten wir aus lauter Scham diese Diagnose nicht stellen. Auch unsere Eltern waren ausgebrannt, da das aber nie thematisiert wurde, traten dann andere Krankheiten auf. Das Leben migrantischer Eltern ist nicht so lang wie das deutscher Eltern.

In der Performance steckt wohl vor allem der Wunsch, Menschen aus der Türkei die schwierige traumatische Erfahrung, „Almancı“ zu sein, nahezubringen und zu zeigen, was Migrant*innen alles erlebt haben.

Das war zweifellos eine der Hauptmotivationen, als ich den Text schrieb. Ich wollte mich an die Gesellschaft in der Türkei richten. Obwohl es fast in jeder Familie, die ich kenne, „Almancı“ gibt, werden wir immer noch klischeehaft beurteilt. Die Leute haben keine Ahnung, wie es uns in Deutschland erging und ergeht. In Deutschland wird ja im Rahmen von Integrationsdebatten darüber geredet, aber in der Türkei überhaupt nicht. Dabei kamen in den letzten Jahren sehr viele Migrant*innen in die Türkei. Mit den Menschen, die vor Krieg geflüchtet sind, wandelt sich die Gesellschaft in der Türkei. Bis in die achtziger Jahre weigerte Deutschland sich anzuerkennen, dass es ein Einwanderungsland ist. Du erlebst permanent Zuwanderung und begreifst, dass die Menschen dauerhaft bleiben, sagst aber immer noch, du seist kein Einwanderungsland. Wegen dieser Leugnung gibt es eine Menge chronisch gewordene Probleme in Deutschland. Weil ich aus meinen eigenen Erfahrungen voraussehe, welche Probleme auf die Türkei zukommen, will ich diese Geschichten erzählen. Vielleicht können wir Lösungen entwickeln, bevor es zu spät ist.

Im Stück ist die Rede davon, dass Migrant*innen, die als Kind Rassismus erleben, als Erwachsene nicht darüber reden. In Deutschland fingen kürzlich im Rahmen der #MeTwo-Kampagne viele Menschen mit Migrationsgeschichte an, über ihre Rassismuserfahrungen zu berichten. Ändert sich da etwas?

Vor der #MeTwo-Bewegung waren sich viele überhaupt nicht darüber bewusst, was ihnen da widerfuhr. Auch ich hätte mich mit meinen Erfahrungen nicht so stark auseinandergesetzt, wenn ich nicht krank geworden wäre. Wir haben Gewalt in verschiedenen Dimensionen erlebt, das waren aber Dinge, die im Fluss des Alltagslebens in Deutschland so übergangen wurden, dass wir es gar nicht gemerkt haben. Als gesellschaftliche Gruppe waren wir in Deutschland völlig unbedeutend. Darüber sprachen wir nicht, das gestanden wir nicht einmal uns selbst ein. Den meisten Leuten würde nie einfallen, zu ihrem Leid und ihren Schmerzen zu stehen und Rechenschaft dafür zu fordern. Deshalb ist es wichtig, dass wir darüber reden. Dafür sind solche sozialen Bewegungen so wichtig.

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

Die nächste Performance findet am 25. Mai in Istanbul statt. Eine Deutschland-Tour ist im Herbst geplant.

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