Aktivist über Straßenumbenennung: „Ein brutaler Militär“

Pastor i. R. Ulrich Hentschel setzt sich dafür ein, die Walderseestraße in Othmarschen umzubenennen. Ein Kriegsverbrecher verdiene diese Ehrung nicht.

Ein alter Mann in Uniform. Um den Hals trägt er ein Eisernes Kreuz, in der Hand hält er einen Säbel.

Repräsentant der Kolonialmacht: Waldersee in China Foto: Alfons Mumm von Schwarzenstein / wikimedia commons

taz: Herr Hentschel, wer war der Mann, nach dem die Walderseestraße in Othmarschen benannt ist?

Ulrich Hentschel: Waldersee war ein äußerst beliebter Militär und Politiker des Kaiserreichs, der eine Zeit lang in Hamburg gelebt hat und hier hoch verehrt wurde. Noch heute ist er Hamburger Ehrenbürger.

Wieso ist sein Name jetzt nicht mehr gut genug?

Der Name war nie gut. Aber was heute viele nicht wissen und ich selbst bis vor zwei Jahren auch nicht wusste: dass Waldersee ein äußerst brutaler Militär und ein rechtsnationaler Politiker war, der dazu beigetragen hat, dass Otto von Bismarck als Reichskanzler abgesetzt wurde. Er stand weit rechts von Bismarck und verfolgte einen aggressiven deutschnationalen Kurs.

Was hat ihm den Straßennamen eingetragen?

In seiner letzten aktiven Phase wurde er im Jahr 1900 als Kommandeur von 20.000 deutschen Soldaten nach China entsandt, um dort den sogenannten Boxer­aufstand niederzuschlagen. Als die deutschen Soldaten dort ankamen, war der Aufstand allerdings schon beendet. Trotzdem hat Waldersee äußerst grausame Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichten lassen.

Das war eine Racheaktion für die Ermordung von Europäern durch die Aufständischen.

Nein, und das wäre auch keine Legitimation. Waldersee selbst hat nicht von Rache gesprochen, sondern von der Durchsetzung von Herrschaft, die den Chinesen ein für allemal klar gemacht werden müsse. Er wurde dafür aber auch in Deutschland heftig kritisiert, insbesondere von der Sozialdemokratie unter Führung von August Bebel. Sogar Karl May hat den deutschen Militäreinsatz in China kritisiert.

Gab es auch in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Debatte darüber?

Das weiß ich nicht. Von Waldersees Kriegsverbrechen war jedenfalls in der Zeitung zu lesen. Die militärischen Konventionen spielten für ihn überhaupt keine Rolle. Angesichts dessen eine Straße nach ihm zu benennen, war damals schon ein Skandal.

Ulrich Hentschel, 67, hat als Pastor die Umwandlung von St. Johannis in Altona in eine Kulturkirche begleitet; zuletzt war er Studienleiter des Bereichs „Erinnerungskultur“ an der Evangelischen Akademie.

Kommt die Umbenennung nicht ein bisschen spät?

Dass die Nazis Waldersee verehrt haben, ist klar. Aber man hätte die Straße nach 1945 umbenennen müssen. Doch über Jahrzehnte hat sich keiner dafür interessiert. Es gibt vermutlich sehr viele Menschen, die an der Walderseestraße wohnen und gar nicht wissen, wer Waldersee gewesen ist. Ich mache das niemandem zum Vorwurf. Wir machen die Veranstaltung auch, um aufzuklären. Ich gehe davon aus, dass dann auch keiner mehr an einer Straße mit diesem Namen leben möchte.

Dass die Umbenennung jetzt zum Thema geworden ist, hängt das möglicherweise auch damit zusammen, dass das eine alte Geschichte ist, die niemandem mehr weh tut.

Natürlich macht es der zeitliche Abstand leichter. Doch es tut manchen noch weh. Denn es gibt in diesem Land wieder Bestrebungen, die Geschichte zu beschönigen und von den tapferen Soldaten zu sprechen. So eine Umbenennung löst Debatten aus. Das wollen wir auch. Die gehen selten ohne Konflikte ab. Das ist aber kein Grund, das, was man bisher versäumt hat, jetzt weiterhin zu versäumen. Jetzt ist es an der Zeit, auch im Zusammenhang eines neu erwachten Interesses an der Kolonialgeschichte Hamburgs, das aufzugreifen.

Haben Sie überlegt, das Straßenschild einfach zu kommentieren, statt es umzubenennen?

„Wer war eigentlich Waldersee?“: Vortrag der Historikerin Friederike Steinhäuser, Lesung aus Feldpostbriefen, 13. April, 19 Uhr, Volkshochschule Othmarschen

Man muss natürlich kommentieren. Unser Ziel ist es nicht, mit der Umbenennung den alten Straßennamen einfach verschwinden zu lassen. Das wäre Auslöschung von Geschichte. Es muss so etwas wie eine Stele oder erklärende Tafel da hin. Die muss etwas sagen über Waldersee und auch über den Menschen, nach dem die Straße neu benannt wird. So geschieht Aufklärung. Aber nur zu kommentieren und den alten Namen zu belassen – das geht nicht. Man müsste dann ja hinschreiben: „Kriegsverbrecher-Waldersee-Straße“. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand dort wohnen wollen würde.

Aber es geht ja nicht nur um die Anwohner.

Straßennamen sind immer die Würdigung einer Person und werden nicht von den Anwohnern ausgesucht. Das ist eine zentrale politische Aufgabe. Der Bezirk wird sich hoffentlich bald dazu bekennen, dass in Altona eine Straße nicht nach einem Kriegsverbrecher benannt sein kann.

Von wem ging die Initiative zur Umbenennung aus?

Wir sind eine kleine Gruppe von sechs Menschen aus verschiedensten Professionen – Journalist, Historikerin, Pastor. Am intensivsten arbeitet die Künstlerin Hannimari Jokinen daran. Wir anderen haben uns jetzt hinzugesellt, um endlich etwas zu bewirken. Wenn man so will, sind wir eine zivilgesellschaftliche Initiative. Wir wollen erreichen, dass die Bezirksversammlung die Umbenennung beschließt. Ebenso wichtig ist der öffentliche Diskurs mit Altonaer BürgerInnen und Menschen, deren Vorfahren direkt von der deutschen Kolonialpolitik in China betroffen waren. Erfreulich wäre, wenn auch die Schulen und Vereine in Othmarschen sich mit dem Thema auseinandersetzen.

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