Interview Plattform Radikale Linke: Brennende Kleinwagen helfen nicht

Ein Gespräch über den EU-Gipfel in Salzburg, Gegenprotest in Orange und Schnittmengen zum bürgerlichen Lager.

Schon am Vorabend des EU-Gipfels gab es Gegenproteste in Salzburg – friedlich und politisch Bild: picture alliance/Franz Neumayr/APA/dpa

taz: Der Bürgermeister von Salzburg, Harald Preuner (ÖVP), sagt über den EU-Gipfel, er freue sich über "die einmalige Gelegenheit zum Kennenlernen und Erfahrungsaustausch mit wichtigen Entscheidungsträgern." Was sagen Sie dazu?

Stefan Wimmer**: Ja und der Landeshauptmann von Salzburg, Wilfried Haslauer (ÖVP), hat angekündigt, dass die Bilder von Salzburg um die Welt gehen werden. Da wollen wir als radikale Linke mitbestimmen, welche Bilder das sind. Und zwar nicht die Inszenierung der herrschenden Regierungen und ihres menschenverachtenden Agenda Settings, sondern von einer Solidarität und einer transnationalen Bewegung die für ein besseres Leben für alle streitet. Und da bietet uns der Gipfel Salzburg natürlich eine gute Bühne.

Aber warum muss Ihrer Meinung nach die Reaktion auf den EU-Gipfel radikal links sein?

Linksradikal heißt die gesellschaftlichen Probleme an der Wurzel zu kritisieren, zu analysieren und verändern zu wollen - und eben nicht Extremismus oder brennende Kleinwagen. Wir denken, dass die Entwicklungstendenzen, die wir in der aktuellen Politik wahrnehmen, nämlich einerseits die mörderische Abschottungspolitik nach Außen und die autoritäre Formierung im Innern, auf einen gemeinsamen Problemhorizont verweisen: Die Krisenhaftigkeit des globalen Kapitalismus mit samt seiner inneren Widersprüchlichkeit, mit samt seiner Verwerfungen. Und darum geht es uns als radikale Linke, nicht nur den Status Quo zu verteidigen und uns in Abwehrkämpfen gegen rechts zu verrennen, sondern darüber hinaus eine Perspektive auf Gesellschaft frei von Ausbeutung, Herrschaft, Ausschluss und Konkurrenz zu formulieren.

Ihr Demonstrationsmotto lautet „A better future for all“. Wie soll diese Zukunft denn konkret aussehen?

Wir gehen gegen den europaweiten Rechtsruck auf die Straße und auch gegen den Rückfall in nationalistische Kleinstaaterei. Wir wenden uns aber auch dezidiert gegen den vermeintlichen Gegenspieler, also das neoliberale Europa, das nicht minder autoritär die gesellschaftlichen und sozialen Widersprüche des Kapitalismus bearbeitet. Die zwei Seiten der Medaille, die beim Gipfel verhandelt werden, sind einerseits die brutale Abwehr von Flüchtenden und Migrant*innen nach außen und im Inneren andererseits Aufrüstung, mehr Überwachung, mehr soziale Kontrolle und Disziplinierung der an den Rand Gedrängten. Es sagt ja schon einiges über eine Gesellschaft aus, wenn wir für das Retten von Menschenleben auf die Straße gehen müssen. Wir wollen Schluss machen mit dieser menschenverachtenden Rechenweise des Kapitalismus, der die Menschen  nach Verwertbarkeitskriterien einordnet und sich daraus ihr Schicksal ergibt.

Mit der ÖVP-FPÖ-Koalition ist zuletzt auch die Österreichische Bundesregierung nach rechts gerückt. Sie sagen, sie wollen den Protest gegen diese Regierung auf „eine neue Stufe stellen“. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Was wir damit meinen, die Proteste auf eine neue Stufe zu stellen, ist eben, dass wir den Zusammenhang von Kapitalismus, Krise und nationalistischen Bewegungen verstärkt thematisieren wollen. Wir haben die Proteste gegen die Regierungs-Angelobung der FPÖ-ÖVP-Regierung letzten Dezember mitgestaltet. Da lag der Hauptfokus darauf, wie die Normalisierung des Rechtsextremismus mit dieser Regierungskoalition voranschreitet. Es handelt sich um eine Deutungs- und Wahrnehmungsweise die eigentlich von der extremen Rechten gesetzt wird: Die spontane Wahrnehmung der sozialen Welt als vermeintlicher Gegensatz zwischen In- und Ausländer*innen, und dass Probleme dieser Gesellschaft keine sozialen Widersprüche sind, sondern dass sie kulturalistisch und unveränderbar dargestellt werden.

Es sind noch drei weitere Demos in Salzburg angemeldet u.a. von Gewerkschaften und angeblich auch von „Pulse of Europe“. Welche Schnittmengen oder Abgrenzungen haben Sie dazu?

Bei Pulse of Europe die sich anscheinend am Hauptbahnhof, wo auch unsere Kundgebung stattfinden wird, treffen werden, gibt es wahrscheinlich eher die größeren Konfliktpunkte, weil wir glauben, dass dem gesellschaftliche Rechtsruck oder die gesamte menschenverachtende Politik nicht ein neoliberales Europa entgegengesetzt werden kann. Wir sind in Salzburg mit lokalen Bündnissen wie der Plattform Solidarisches Salzburg und der eher autonomen Plattform NoS20 vernetzt. Gemeinsam organisieren wir die Großdemo, die vom Hauptbahn zum Volksgarten ziehen wird, wo dann ein Festival mit dem Motto „Die Festung feiern wenn sie fällt“ stattfinden wird. Wir hoffen natürlich, dass Menschen der anderen Demos sich auch bei uns einreihen. Sie sind auf jeden Fall herzlich willkommen.

Aber fürchten Sie nicht, mit dem Motto „Die Festung feiern wenn sie fällt“ eher bürgerlich orientierte Teilnehmer*innen abzuschrecken?

Wir hoffen, dass auch bei bürgerlichen Leuten die Politik des organisierten Sterbenlassens zu Entsetzen führt. Und genau an die Leute richten wir uns, die nicht so abgestumpft sind oder im Kapitalismus dermaßen verrückt geworden sind, dass sowas wie Menschenrechte, liberale Mindeststandards oder eben die Rettung von Menschenleben zur Disposition gestellt werden. Das ist die übergreifende Schnittmenge. Deshalb denken wir, dass diese Leute zu unserer Demonstration kommen werden – auch wenn wir mit unserer Politik eine tiefergehende Analyse und Kritik am Zusammenhang zwischen nationalistischer Abschottung, krisenhaften Erscheinungen und den europaweiten Rechtsruck versuchen zu vermitteln.

Wie ist jene tiefere Analyse der bestehenden Verhältnisse aber für ein breites Publikum zu vermitteln?

Gemeinsam mit dem Ums-Ganze-Bündnis und der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ gestalten wir den vorderen Teil der Demonstration. Wir versuchen, sehr starke orange Akzente zu setzen. Wieso orange? Weil orange gilt einerseits für die Seebrücken-Bewegung, für die Katastrophe im Mittelmeer aber auch für die Hoffnung, dass Menschenleben mehr zählen als nationale Abschottungsfantasien. Wir haben dazu aufgerufen, dezidiert mit orangenen Accessoires zu kommen.

Rund 1750 Polizist*innen sollen den Gipfel bewachen, zudem wird das Schengener Abkommen kurzzeitig ausgesetzt. Wie schätzen Sie die sicherheitspolitische Lage in der Stadt ein?

Wir haben das schon in Innsbruck beim Innenminister*innentreffen gesehen, da wurde auch das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt und Grenzkontrollen angekündigt. Wir rufen dazu auf, dass man für die Anreise mehr Zeit einplanen sollte und es gibt die Möglichkeiten, in Salzburg selber zu übernachten. Um 11 Uhr ist unserer Kundgebungstermin, damit man es frühzeitig trotz möglicher Kontrollen zu unserer Demonstration um 14 Uhr schafft. Es wird viele Strukturen an diesem Tag geben, die im Falle, dass man von der Polizei festgehalten wird, erreichbar sind. Zudem wird es ein anwaltliches Not-Team in der Stadt geben. Wir hoffen natürlich auch, dass wir nicht mit einem massiven Polizeiaufgebot konfrontiert werden.

Die Fragen stellte Torben Becker, Redakteur der taz Bewegung.

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