Internet in Kuba: Die Online-Revolution

Kaum ein Land ist so vom Internet abgeschnitten wie Kuba. Ausgerechnet ein Freund Fidel Castros sorgt dafür, dass sich dies ändert.

Der Innenhof des Estudio Romerillo

Der Innenhof des Estudio Romerillo, wo es WLAN-Empfang gibt Foto: Sebastian Erb

HAVANNA taz | Sooft er kann, geht Yosuan Mendez Diez nun ins Internet. Von der 120. Straße, ganz im Westen von Havanna, biegt er in die ruhige Seitenstraße ein, und schon zeigt sein zerkratztes Smartphone: Er hat WLAN-Empfang. Klingt normal, ist es aber nicht.

Yosuan Mendez Diez ist 29 Jahre alt, ein lässiger Typ, der für den staatlichen Gasversorger arbeitet. Einen Großteil seiner Freizeit verbringt er nun im Netz, hier im Innenhof des Kulturzentrums Estudio Romerillo, manchmal bleibt er fünf, sechs Stunden, manchmal den ganzen Tag und die halbe Nacht. „Bisher hatten wir nie Zugang zum Internet“, sagt er, „und jetzt können wir uns alles anschauen.“

Theoretisch könnte Yosuan Mendez auch anderswo online gehen, es gibt landesweit rund 150 staatliche Internetcafés in Kuba, und auch die größeren Hotels verfügen über Internet. Für Mendez und die allermeisten Kubaner ist das aber nahezu unerreichbar. Denn es ist teuer, mindestens 4,50 Dollar pro Stunde. Wie soll das jemand bezahlen, der im Monat nicht einmal 20 Dollar verdient? Und den – noch teureren – Internetzugang für zu Hause, den bekommt eh kaum einer.

Witze zum Internet

Das Estudio Romerillo besteht aus mehreren kastenartigen Gebäuden: Ausstellungsräumen, einem Theater, Werkstätten, einer kleinen Bibliothek. Und im ummauerten Innenhof gibt es jetzt WLAN, rund um die Uhr. Yosuan Mendez steckt seine Sonnenbrille ins Lockenhaar und loggt sich ein. Das Passwort „Aquinoserindenadie“ zeigt schon, dass es kein Oppositionsprojekt ist, wie man vermuten könnte. „Hier ergibt sich niemand“ ist ein legendärer Spruch der Revolution.

Yosuan chattet mit seinen Cousinen und klickt sich durch die Fußballergebnisse aus Europa. Ein Dutzend anderer Besucher sitzt um ihn herum, auf Holzbänken und Korbsesseln unter dem großen Stoffsegel. Sie entdecken hier eine neue Welt.

Kaum ein Land ist so offline wie Kuba. In einer Rangliste der Organisation Freedom House landete Kuba hinsichtlich der Internetfreiheit auf dem 62. Platz von 65 untersuchten Ländern. Auf der Insel fasst man diese Tatsache in einen Witz: Überall auf der Welt misst man die Internetgeschwindigkeit in Megabit pro Sekunde; in Kuba sind es Gigabyte pro Woche.

Festplatte per Paket

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Denn viele Inhalte, die die Menschen in Miami beispielsweise online konsumieren, erreichen die Kubaner per Festplatte, immer Anfang der Woche im sogenannten paquete. Keiner weiß genau, wie es organisiert wird, jedenfalls gelangt eine wochenaktuelle Zusammenstellung von Telenovelas und Fußballspielen ins Land, von Zeitschriften und Computerprogrammen. Ein knappes Terrabyte insgesamt; eine Kopie auf die eigene Festplatte kostet dann 2 Dollar. Auch das muss man sich leisten können.

Um den Zugang zum Netz zumindest ein bisschen zu erleichtern, haben Tausende Technikfreaks in Havanna ihre Computer zu einem lokalen Netzwerk verbunden. Genutzt wird das sogenannte Streetnet vor allem zur Kommunikation und für Netzwerkspiele; eine Offline-Wikipedia ist noch das Politischste, was sich dort finden lässt. Auch deshalb lässt der Staat die Nerds wohl gewähren.

Wer richtig online gehen will, muss geheime Wege nehmen. Manche haben bei der Arbeit nur ein E-Mail-Postfach und schaffen es trotzdem auf Facebook. An einigen Bürogebäuden werden unter der Hand Zugangcodes für interne WLANs verkauft. Mit der Smartphone-App „Your freedom“ hacken sich andere in ein Hotel-WLAN ein. Verzweifelte Versuche.

Willkommene Annäherung

Die Kubaner online zu bringen, das haben schon viele versucht; sie wurden stets daran gehindert. Diese Leute kamen aus den USA, dem Land, mit dem Kuba mehr als 50 Jahre eine eisige Feindschaft pflegte, bis im Dezember die Präsidenten beider Länder überraschend erklärten, ihre Beziehungen normalisieren zu wollen. Die, die die Kubaner online bringen wollten, waren also Feinde des sozialistischen Regimes. Kcho aber, der Gründer und Betreiber des Kulturzentrums, ist ein Freund.

Ein fülliger Mann ist Kcho, sein Vollbart ist genauso grau gelockt wie sein Haupthaar, seine Kleidung ist schwarz. Er ist viel beschäftigt, aber immer, wenn er es einrichten kann, plaudert er hier mit seinen Gästen. Jetzt will er dem Besuch aus dem Ausland erklären, was es mit seinem WLAN auf sich hat. Er spricht schnell und undeutlich und ist sich trotzdem sicher, dass das ankommt, was er zu sagen hat.

Mit drei Computern in der Bibliothek des Kulturzentrums habe es angefangen. Um sechs Uhr früh standen die Besucher schon an, um dort online gehen zu können. Da sei ihm die Idee mit dem WLAN gekommen, „damit mehr Leute davon profitieren können“. Kcho besorgte sich einen Router, damit auf seinem privaten Zugang alle surfen können. Wie viel er dafür ausgibt, will er nicht sagen, der Tarif wäre um die 900 Dollar im Monat. Er sagt: „Diese Leute hier zu sehen, wie sie im Internet surfen, das ist – wie heißt es in dieser Werbung? – unbezahlbar.“ Er kann es sich leisten.

Künstler, Impresario, Castro-Freund

Kcho heißt mit bürgerlichem Namen Alexis Leiva Machado, er ist 45 Jahre alt und einer der bekanntesten Künstler Kubas. Schon mit Mitte 20 hat er im MoMA in New York ausgestellt. Es sind große Installationen, zusammengezimmert aus Gebrauchsgegenständen. Immer wieder geht es in seiner Kunst um Boote, mit denen Kubaner von der Insel abhauen wollen.

Kcho würde nie fliehen, denn von der sozialistischen Regierung ist er mindestens ebenso überzeugt wie von sich selbst. Er sitzt im Nationalparlament, das zweimal im Jahr tagt, und als sein Kulturzentrum Anfang 2014 offiziell eröffnet wurde, kam auch Fidel Castro; es war einer der selten gewordenen Auftritte des langjährigen Staatschefs.

Kcho sagt ganz offen, dass er eine Botschaft hat, die er unters Volk bringen will. Und die lässt sich so zusammenfassen: Die Revolution ist immer noch aktuell. Die Revolution ist auch online.

Langsames Netz

Ein hiesiger Telekom-Kunde würde über die 2-Megabit-Verbindung bestimmt jammern, von den Besuchern im Estudio Romerillo beschwert sich keiner. Da ist der ältere Herr, der seinem Bruder, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, per WhatsApp Fotos vom kranken Vaters schickt. Da ist die junge Englischstudentin, die online nicht nur Wörterbücher sucht, sondern auch Neuigkeiten über ihre Lieblingsstars. Und da ist Emanuel Perez, ein hagerer Mann in blauem Funktionsshirt, der etwas skeptisch auf den Laptop vor sich blickt. Er ist heute zum ersten Mal online.

45 Jahre ist Perez alt, und bisher ist er eigentlich ganz gut ohne Internet zurechtgekommen. Aber er hat Verwandte in Spanien und den USA, mit denen man natürlich online viel schneller kommunizieren kann, deshalb will er jetzt lernen, wie das geht. „Mit dem Internet ist die Welt ein Dorf“, sagt er.

Dass sich Kuba und die USA nun wieder annähern, das findet Emanuel Perez gut. „Die Öffnung“, sagt er, „beginnt mit Kcho.“ Er schaut auf seinen Bildschirm, irgendwie klappt das nicht mit den Mails. Kcho, der ihm zuschaut, zeigt, wohin er klicken muss.

„Wir sind nicht in Nordafrika“

Hat der Künstler keine Angst, dass sich das Projekt gegen die Regierung richtet? Dass hier der „kubanische Frühling“ organisiert wird? „Wir sind in Kuba, wir sind nicht in Nordafrika“, sagt Kcho. Er spricht nun lauter, beinahe ein bisschen aggressiv. Alle elf Millionen Kubaner stünden hinter der Regierung. „Die Leute verteidigen die Revolution wie ihre Mutter!“

Nach allem, was man mitbekommt, braucht Kcho wirklich keine Angst zu haben, dass hier die Konterrevolution organisiert wird. Chatten, Fußball, Musik, das interessiert die Leute. Alles harmlos.

Ein verbesserter Internetzugang ist einer der Punkte im Annäherungsprozess, auf die sich Kuba und die USA im Dezember geeinigt haben. Seitdem sind US-Delegationen nach Havanna gereist, um auszuloten, was machbar ist. Es geht um technische Fragen, aber auch um politische Vorgaben. Wie viel Kontrolle will der Staat ausüben?

Google war schon da

Der US-Amerikaner Larry Press, Professor für Informationssysteme an der California State University, jedenfalls hofft, dass Kuba seinen eigenen Weg zu einem modernen Internet findet. In seinem Blog2 befasst er sich regelmäßig mit dem Thema. Es dürften am Ende nicht nur der staatliche Telekommunikationskonzern Etesca, die kubanische Regierung oder ausländische Investoren davon profitieren, schreibt Press.

Google-Chef Eric Schmidt war jedenfalls schon einmal in Kuba, und da war von der historischen Annäherung noch gar nichts bekannt. Aber nicht nur US-Firmen stehen in den Startlöchern, um Kuba mit dem Rest der Welt zu vernetzen.

Manche in Kuba vermuten, dass Kchos Projekt ein Test ist, wie das Volk mit einem frei zugänglichen Internet umgeht. Selbst wenn dem nicht so ist, ist völlig klar: Gegen den Willen der Regierung könnte er das Ding nicht durchziehen.

Yosuan Mendez Diez muss unterdessen eine kleine Zwangspause einlegen. Die Verbindung hängt, mal wieder. Ihm macht das nichts aus, er wartet. „Ich glaube, das hier ist nur ein erster Schritt“, sagt er. Er ist überzeugt davon, dass der Netzzugang in Kuba bald für alle eine Selbstverständlichkeit sein wird und nicht nur das Geschenk eines Künstlers am Stadtrand von Havanna.

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