Initiative versteckt bedrohte Geflüchtete: „Bewusst nicht geheim“

Die Gruppe Bürger*innen-Asyl bietet Geflüchteten Schutz. Eine in diesen Zeiten notwendige Form zivilen Ungehorsams, sagt die Mitwirkende Katrin Meyer.

Menschen halten ein schild, mit dem sie gegen Abschiebungen protestieren

Demonstrieren allein reicht nicht mehr aus, sagt die Initiative Foto: dpa

taz: Frau Meyer, was ist Bürger*innen-Asyl?

Katrin Meyer: Bürger*innen-Asyl ist die zivilgesellschaftliche Antwort auf die deutsche Abschiebepolitik. Wir sind eine neue Initiative, uns gibt es seit etwa einem halben Jahr in Berlin. Unser Ziel ist es, konkret Abschiebungen zu verhindern. Wir ermuntern dafür Berliner*innen, geflüchtete Menschen bei sich aufzunehmen. Es geht zum Beispiel um Leute, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die auch keine Duldung mehr haben. Wir wollen die Menschen unterstützen, die ganz akut hier nicht mehr sicher sind und jederzeit abgeschoben werden können. Und die deswegen in privatem Wohnraum untergebracht und versteckt werden müssen.

Also ist Bürger*innen-Asyl so etwas wie Kirchenasyl?

Ja, wir verstehen uns als Parallelstruktur zum Kirchenasyl. Aber das kann Menschen nur in Kircheneigentum unterbringen und ist total überlastet. Wir denken uns: Wieso soll nur die Kirche Menschen vor Abschiebung schützen können? Auch wir als Bür­ge­r*in­nen können das tun.

Katrin Meyer

23, ist Studentin und von Beginn an Teil von Bürger*in-

nen-Asyl Berlin. Mehr unter https://buerger-innen-asyl-berlin.org

Das ist natürlich illegal. Auch die Kirchen haben lange verhandelt mit dem Staat, um einen rechtlichen Modus zu finden.

Zu Bürger*innen-Asyl gibt es bislang keine rechtliche Praxis, noch hat sich kein Gericht damit beschäftigt. Ob es strafrechtliche Konsequenzen hat, ist auch nicht eindeutig zu sagen, das hängt vom aufenthaltsrechtlichen Status der Betroffenen ab. Was für uns aber wichtig ist: Das ist eine Form des zivilen Ungehorsams. Wir sagen: In diesen Zeiten, wo so viele Menschen zurück ins Elend, in Folter und Tod geschickt werden, ist Bür­ger*innen-Asyl nötig. Es ist vielleicht nicht legal, aber auf jeden Fall legitim.

Also macht es für Sie keinen Unterschied, ob man sich damit strafbar macht oder nicht?

„Das ist vielleicht nicht legal, aber auf jeden Fall legitim“

Unsere Initiative ist bewusst nicht geheim. Wir stehen dazu, wir wollen Einfluss auf den Diskurs nehmen und zeigen, dass es ganz viele Menschen gibt, die nicht einverstanden sind mit den migrationspolitischen Entscheidungen der Bundesregierung. Gleichzeitig verraten wir aber nicht, wo wer versteckt wird. Das heißt, wir schützen alle Beteiligten, damit die Behörden nicht einfach plötzlich vor der Tür stehen können.

Dann gibt es bereits Leute, die in Berlin versteckt werden?

Ja, wir haben das erste Bürger*innen-Asyl erfolgreich abgeschlossen.

Das heißt?

Wir haben die Abschiebung einer Familie verhindert. Sie ist jetzt im deutschen Asylverfahren und hat Hoffnung auf einen Aufenthaltsstatus hier.

Wie ging das vonstatten?

Die Idee von Bürger*innen-Asyl hat zwei Komponenten: Wir wollen ganz konkret die Abschiebung verhindern, aber wir wollen auch ein langfristiges Bleiberecht ermöglichen. Bei Leuten, die im Dublin-Verfahren sind, für die also ein anderes EU-Land zuständig ist, kann die Aufnahme ins Bürger*innen-Asyl zum Beispiel Zeit schaffen, bis die Überstellungsfrist abgelaufen ist.

„Wir arbeiten mit einem Netzwerk von Beratungsstellen zusammen, die uns Menschen übermitteln, die akut von Abschiebung bedroht sind.“

Was heißt das?

Nach sechs Monaten Aufenthalt hier wird Deutschland für Menschen im Dublin-Verfahren zuständig. Die Aufnahme ins Bür­ge­r*in­nen-Asyl kann aber auch einfach den An­wält*innen Zeit geben, die rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, um ein Bleiberecht zu erkämpfen.

Wie war das bei Ihrer ersten Familie?

Das war eine afghanische Familie, die in Schweden registriert wurde. Was viele vielleicht nicht wissen: Berlin schiebt zwar nicht direkt nach Afghanistan ab – das ist Konsens im Senat. Aber es finden ganz viele Abschiebungen von Berlin in skandinavische Länder statt, die wiederum viel nach Afghanistan abschieben. Das heißt, Berlin ist indirekt an vielen sogenannten Kettenabschiebungen nach Afghanistan beteiligt. Die Familie, die wir unterstützt haben, war so ein Fall. Da konnten wir die Zeit bis zum Ende der Überstellungsfrist überbrücken, sodass die Familie nicht nach Schweden und von dort nach Afghanistan abgeschoben wurde, sondern jetzt im deutschen Asylsystem drin ist.

Wie wählen Sie die Familien aus?

Wir arbeiten mit einem großen Netzwerk von Beratungsstellen zusammen, die uns Menschen übermitteln, die ganz akut von Abschiebung bedroht sind und für die das Bür­ger*innen-Asyl eine Möglichkeit darstellt, eine langfristige Bleibeperspektive zu bekommen.

Könnte es also sein, dass jemand zwar akut bedroht ist, für ihn aber das Bür­ge­r*in­nen-Asyl nicht infrage kommt?

Das klären für uns die Beratungsstellen ab, die haben in dieser Hinsicht viel mehr rechtliche Kompetenz. Sie gucken, ob es noch rechtliche, medizinische oder humanitäre Möglichkeiten gibt.

Wie groß ist Ihr Netzwerk? Wie viele Ber­li­ner*innen haben erklärt, dass sie jemanden unterbringen würden?

Das ist schwierig zu sagen. Wir sind eine kleine Kerngruppe von Menschen, die Veranstaltungen organisieren und die einzelnen Bürger*innen-Asyle begleiten und unterstützen. Aber zu uns gehören auch die, die unseren Aufruf im Internet unterzeichnen und theoretisch damit die Absicht erklären, sie würden eine Person aufnehmen. Der Aufruf ist erst seit gut zwei Wochen online und wurde schon von Dutzenden Leuten unterzeichnet. Dann gehören auch all jene dazu, die unsere Idee mit Geld, Zeit oder auf andere Weise unterstützen. Uns ist es aber auch wichtig, zu sagen, dass wir eine neue Initiative sind und wir uns über jegliche Unterstützung freuen.

Können Sie theoretisch schon mehrere Asyle gleichzeitig machen?

Können wir. Aber wie viele Menschen wir aktuell verstecken, wollen wir nicht sagen. Das Ziel ist natürlich, daraus eine breite Bewegung zu machen, die laut und sichtbar ist. Wir glauben, dass viele Menschen empört sind über Seehofers Zynismus mit 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag. Über die Berliner Ausländerbehörde, die im Juni eine Abschiebung nach Madrid durchgeführt hat, wo Geflüchtete gefesselt und medikamentös ruhiggestellt wurden. Es gibt viele, die sagen, auf die Straße gehen reicht nicht, wir wollen selbst handeln. All diejenigen laden wir ein mitzumachen.

Wie sieht das praktisch aus, wenn ich sage, ich hätte ein Zimmer für diesen Zweck frei?

Dann kontaktieren Sie uns einfach über unsere Website oder über Facebook, und wir machen ein persönliches Treffen aus.Wir unterstützen die Beteiligten während des gesamten Prozesses des Bürger*innen-Asyls. Es gibt eine Supportgruppe, die hilft bei Behördengängen, bei Arztbesuchen, bei Anwält*innen. Wir sammeln Spenden, um Essen, Anwält*innen, Transportkosten und so weiter bezahlen zu können.

Gibt es Bürger*innen-Asyl auch in anderen deutschen Städten?

Bürger*innen-Asyl-Initiativen haben sich vor etwa zwei Jahren in verschiedenen deutschen Städten gegründet. Angefangen hat es in Freiburg, Stuttgart, Hanau und Göttingen. Die Idee hat sich dann ausgebreitet, heute gibt es in zehn deutschen Städten Bürger*innen-Asyl-Initiativen. Oft sind sie in der Auseinandersetzung mit Solidarity Cities entstanden, also mit den Kämpfen für eine solidarische Stadt, zu der das Recht auf Bildung und auf Gesundheit gehört, aber auch das Recht, zu bleiben und Schutz zu bekommen. Auch wir hier in Berlin sind Teil vom Solidarity-City-Netzwerk.

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