„Immisitzung“ beim Kölner Karneval: Türkinnen, Spanier, sogar Düsseldorfer

„Jede Jeck is von woanders“, heißt das Motto der Kölner Immisitzung. Hier stehen Zugezogene auf der Bühne und führen Vorurteile intelligent vor.

Menschen stehen um ein mit Puppen gefülltes Schlauchboot

„Die Lage ist ernst, also lachen wir“: Das Boot ist voll bei der Immisitzung. Foto: Tom Hafner

KÖLN taz | Das Boot ist bereits zu Beginn voll. Dutzende von hoch erhobenen Händen befördern es ins Rampenlicht. „Wo sind wir hier?“, fragt einer aus dem Boot. „In Sicherheit – in Köln“, lautet die Antwort.

Die Flüchtlinge im Schlauchboot wackeln ungläubig mit ihren Puppenköpfen, die Darsteller auf der Bühne machen gute Miene, und das bürgerliche Publikum im Bürgerhaus Stollwerck in der Kölner Südstadt lacht im ausverkauften Rund. Denn „die Lage“, so die Mimin Myriam Chebabi, „die Lage ist ernst, also lachen wir“. Dazu intonieren alle zusammen im ehemaligen preußischen Proviantmagazin das Sitzungsmotto „Jede Jeck is von woanders“.

Man kann das peinlich finden, man muss es aber nicht, zumal in dieser Nummernrevue ordentlich geschauspielert wird. Etwa wenn die „Schönheitschirurgen ohne Grenzen“ aufzeigen, was mit den aufgelassenen Schlauchbooten der Flüchtlinge passiert (werden zu Schlauchlippen umfunktioniert) oder wenn sich eine gestandene Türkin der Überfürsorglichkeit einer treudeutschen Sozialarbeiterin erwehrt. Dialog in etwa: „Sie kommen ja bestimmt aus einer vielköpfigen Familie!“ – „Nein, ich bin Einzelkind.“ – „Na, dann sind sie sicher einsam!“

Auch der schwule Übersetzer bei einer Pressekonferenz des russischen Ministerpräsidenten Medwedew überzeugt, vor allem beim Intonieren von „Eye of the Taiga“. Drei Stunden geht das Programm und man bleibt, unverkleidet beobachtend, weil kein Kostümzwang, weitgehend munter. Trotz Kölsch.

Überhaupt tut man sich zur Karnevalszeit leichter, wenn man einfach mal nichts peinlich findet. Denn muss es nicht auch „nach Köln“ heißen können, egal ob Frau, Mann oder selbstgewähltes Geschlecht: Augen auf und durch? Und dabei, Armlänge Abstand hin oder her, bloß nicht fremdeln?

Die Immisitzung als Erholung

Dass man dann als Zugereiste an diesen „tollen Tagen“ doch fremdelt, hat damit zu tun, dass, einmal drin im kreischenden Karneval die gedankliche Distanz gen null geht. Genau jene Distanz braucht es aber, damit einem im Leben nichts fremd ist. Außerhalb der jecken Zeit ist es ein angenehmer Nebeneffekt, mit dieser Geisteshaltung nie irgendwo richtig dazuzugehören. Karneval jedoch ist eventöser Nahkampf – auch wenn dieses Jahr die Kölner Kostümierten fast keine Waffen tragen, manch einer von ihnen aber einen Sprengstoffgürtel gefüllt mit Pfanddosen, andere auch schon mal ein quiekendes Plüschschwein, das sie grölend „Drecksschwein“ rufen. Es hat eben so jeder und jede sein Päckchen zu tragen.

Die Immisitzung bietet Erholung von der Straßenmeute. Myriam Chebabi, genannt Mymmi und gebürtige Brasilianerin, ist die grünfunkelnd-körperbetont gekleidete Conférencière dieses etablierten Karnevalstermins, gedacht als Kontrastprogramm, als Alternative zum klassischen „Alaaf“-Gedöns und als feine Kostümschlacht. Im siebten Jahr in Folge und allein 23 Mal in dieser „Session“ – so heißt die Karnevalszeit ab dem 11. 11. – spielen die „Immis“.

Immis werden in Köln ausnahmslos alle genannt, die nicht innerhalb der Stadtgrenzen wohnen und ganz besonders Düsseldorfer. Intra muros leben natürlich auch nicht nur von Geburt an kölnische Kölner und Kölnerinnen, nein, einige kommen sagenhafterweise aus Düsseldorf, ja aus Aachen gar, manche sehen nordafrikanisch aus und lieben Kölsch, es gibt Italiener und Türkinnen, Spanier und US-Passinhaberinnen, und jetzt noch die ganzen Flüchtlinge. Wenn das nicht immi ist. Statt dem ollen Karnevalsruf „Seid ihr gut drauf?“ schallt es auf der Immisitzung deshalb: „Seid ihr wirklich tolerant?“ – „Ja, ja!“, johlt der Saal.

Zum Themenkreis „Hbf“ kommt vom weiblichen Teil der Bühne nur ein kurzes, knappes Statement: „Mir sind kölsche Mädchen. Mir lassen net dran fummele, Mir lassen niemand rein. Das ist es. Und jetzt geht’s weiter …„

Im Netz klingt der Waschzettel der Immisitzung derweil arg bemüht: „Das Multi-Kulti-Leben hierzulande bringt Spannungen und Konflikte ebenso wie lustige und aberwitzige Situationen mit sich. Das Programm geht […] dem gesellschaftlichen Treiben und dem Kölner Karneval aus Sicht der Zugezogenen auf den Grund.“ Auf der Bühne geht es dann Gott, Allah, Jahwe oder egal wem sei Dank, oft recht komisch zu. Ein fast 20-köpfiger Trupp von nach Köln Zugezogenen aus aller Damen und Herren Länder schafft es mit Kabarett und viel Musik, Vorurteile und was sonst noch so an Überkommenem zum Thema „Wir und die anderen“ vorhanden ist, intelligent vorzuführen.

Alle Darbietungen schreibt das Team selbst. Myriam Chebabi , 47, die sich nach 21 Jahren in Köln „weder brasilianisch noch deutsch noch sonst was fühlt“, sondern einfach „neugierig, leicht übergewichtig und lustig“, beschreibt das Wesen der Immisitzungen später im Interview als „Klischees gleichzeitig brechen und erfüllen“. Und im Übrigen könne sie das Wort „Flüchtling“ nicht ausstehen, sie denke dabei immer an „Frischlinge, Fruchtzwerge oder gleich die Ausgebürgerte Puppenkiste.“ Treffer.

Die 74-Jährige „kölsche Flüchtlingin“

„Wie wär’s“, fragt die Komödiantin, „mit ‚Mensch’ oder noch besser: ‚Jeck‘?“ Am Immisitzungsabend, der hauptsächlich von mittelaltem, deutsch aussehendem Publikum besucht wird (Achtung – der zweite Teil der Aussage ist nicht pc!), fehlt hin und wieder die Zündung beim Feuerwerk der auf die Spitze getriebenen Klischees. Doch, bitte: Es ist Karneval. Und man selbst ist immer noch am fremdeln.

Dankbar greift man deshalb die Anregung von „Frau Stöbener“ auf der Damentoilette auf, die für den morgigen Nachmittag Karneval bei Kaufhof an der Hohe Straße empfiehlt. Frau Stöbener ist 74 und lebt als „kölsche Flüchtlingin seit 13 Jahren in Marbella“, feiert aber jede Karnevals-Session mit ihren alten Schulfreundinnen und vielen „Bützchen“, lies Küsschen“ Die Immisitzung findet die ehemalige Tierpflegerin „1 a, da wird endlich mal richtig auf den Putz gehauen“.

Die wuchtigen Mettwürste am nächsten Tag bei Kaufhof kosten nur zwei Euro das Stück inklusive Brötchen und auf keinem Fall Düsseldorfer Löwensenf. Im Atrium des Kaufhauses tobt die jecke Veranstaltung, drumherum geht der Verkauf weiter, die Rolltreppen surren und von dort hat man den besten Blick auf Alleinunterhalter Linus, der gerade einen „relativ überschaubaren Text zum Mitsingen“ preist und dann spielt die Band und alle schunkeln und singen „Lalala, lala, lalala“, ob mit Einkaufstüte oder im Ringelhemd. Das Kölschgläschen stellt man derweil auf einem Kosmetikdekotisch ab.

„Heidewitzka, Herr Kapitän“

Alles im Normbereich, keine sichtbaren Polizeikontrollen, anscheinend nur kostümierte Zivilbullen unter den mehr als sicherlich 500 sich selbst und die Stadt Feiernden. Wie fast überall im Karneval wird auch hier nur kölsches Liedgut zum Besten gegeben. Für Immis erschließt es sich meist nur in Textbrocken. Einer der Brocken hört auf „Menschen wie wir“, ein anderer auf „Heidewitzka, Herr Kapitän“.

Da fällt einem die Gebärdensprache-Nummer der Immisitzung ein. Die Schauspieler hatten in Gebärdensprache Karnevalslieder mitgeteilt. Weder verstand man die Gebärden, noch auch nur mehr als höchstens zwei Worte von dem, was anschließend gemeinsam gesungen wurde.

Heidewitzka aber auch! Fremd ist man eingezogen nach Köln, fremd zieht man wieder aus. Im ICE heim nach Berlin behält man dann die bei Kaufhof erworbene Narrrenkappe dennoch trotzig auf. Bis zum Schluss.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.