Im Gespräch mit Bremens künftigem Bürgermeister: "Ich habe Lust auf diese Aufgabe"

Zur Wahl stand Jens Böhrnsen – jetzt wird Carsten Sieling Bürgermeister: Im Interview verrät der, wie er die Stimmen seines Vorgängers für sich erobern will.

"Jede Böhrnsen-Stimme ist auch eine für die SPD", sagt Carsten Sieling. Bild: Jan Zier

taz: Herr Sieling, haben Sie lange überlegt, ob Sie als Bürgermeister antreten?

Carsten Sieling: Vor der Entscheidung habe ich mit meiner Familie und engen Freunden gesprochen. Es war mir aber schnell klar: Ich habe Lust auf diese Aufgabe– weil das Amt viele Möglichkeiten zum Gestalten eröffnet.

Ein rot-grüner Senat wird im Parlament eine Mehrheit haben – aber nur von einem Viertel der Wahlberechtigten getragen sein. Das ist sehr wenig.

Das stimmt. Und es wird eine der Aufgaben des neuen Senats sein, das zu ändern. Wir müssen hart daran arbeiten, die Wahlbeteiligung wieder spürbar zu erhöhen und verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Bloß hinterlässt die Wahl Zigtausende Böhrnsen-WählerInnen als Neu-Enttäuschte …

Die Enttäuschung verstehe ich. Es ist schade, dass Jens Böhrnsen sein Amt niedergelegt hat. Aber die Menschen, die ihn gewählt haben, haben damit auch ein politisches Votum abgegeben: Jede Böhrnsen-Stimme ist auch eine für die SPD. Jetzt sehe ich es als meine Aufgabe, dieses Vertrauen zu rechtfertigen.

Die SPD war mit einem Regierungsprogramm in die Wahl gegangen – jetzt kommen Sie mit einem Sechs-Punkte-Plan: Sind das nur persönliche Schwerpunkte?

Natürlich kandidiere ich auf Grundlage des SPD-Programms. Innerhalb dieses Programms muss man aber Prioritäten setzen. Das habe ich mit meinem Sechs-Punkte-Plan getan.

56, SPD seit 2009 Bundestagsabgeordneter, war zuvor zehn Jahre Mitglied der Bremischen SPD-Fraktion, seit 2006 als ihr Chef. Der Industriekaufmann und Diplom-Ökonom wurde 1999 mit einer Dissertation zu Konversion als Mittel der Strukturpolitik promoviert.

Zum Beispiel?

Auch frühkindliche Bildung ist Bildung und gehört damit ins gleiche Ressort. Darüber diskutieren wir in Bremen seit acht Jahren ohne Ergebnis. Dabei gibt es gute, fachliche Gründe dafür. Die nehme ich mir zu Herzen – und werde das jetzt umsetzen.

In die gleiche Kerbe schlägt Ihre Forderung nach höherer Autonomie der Schulen – um auf Defizite dort, wo sie auftreten, reagieren zu können?

Genau. SchulleiterInnen nehmen heute in Wirklichkeit Managementaufgaben wahr, dem sollten wir Rechnung tragen. Sie sind aber PädagogInnen …

und müssen jetzt einschlägig fortgebildet werden?

Nein. Eher bezieht sich meine Idee auf ein Projekt, das es vor einigen Jahren schon gab: Wir hatten an einigen Schulen sogenannte SchulassistentInnen eingestellt, zur Verstärkung der Leitung. Das war erfolgreich – und ich halte es für die richtige Herangehensweise. Das müssen keine pädagogischen Fachkräfte sein, sondern Leute, die mit organisatorischen Aufgaben gut zurechtkommen.

Für Unruhe beim designierten Koalitionspartner haben Sie mit der baupolitischen Konkretisierung gesorgt …

… mit den Aussagen zur Osterholzer Feldmark?

Genau: Ist deren Bebauung für Bremen, die zugeteerteste Stadt Deutschlands, sinnvoll?

Es geht doch nicht um die Bebauung der gesamten Osterholzer Feldmark. Es geht um Randbereiche, die bereits gut angebunden – und im Übrigen auch in der Flächennutzungsplanung nicht ausgeschlossen sind.

Aber der Erhalt der Grünflächen ist ökologisch so wichtig …!

Gerade unter ökologischen Gesichtspunkten müssen wir doch die Zersiedlung stoppen! Die ist die größte ökologische Belastung. Mein Vorschlag folgt einer Strategie der Verdichtung – und die halte ich für richtig, solange man wichtige Landschaften nicht zerstört.

Die Osterholzer Feldmark ist keine wichtige Landschaft?

Aber sie wird ja nicht zerstört! Noch einmal: Es geht um ihre Randbereiche. Mein Vorschlag ist da weit weniger umfassend als die alten Pläne der Großen Koalition.

An deren Großprojekte kann man bei den Plänen fürs Offshore-Terminal Bremerhaven denken. Zu dem legen Sie, konform zum SPD-Programm, ein Bekenntnis ab. Dabei hatte gerade erst Ihr Doktorvater Rudolf Hickel gewarnt, dass die Rentabilitätsberechnungen hinfällig seien: Wären wir da auf dem Weg in ein langes erfolgloses Abenteuer?

Nein, eindeutig nicht. Natürlich werden wir genau darauf achten, wie sich die Frage der Wirtschaftlichkeit entwickelt und was dort angepasst werden muss. Aber auch unter energiepolitischen und ökologischen Gesichtspunkten müssen wir den Windkraft-Ausbau forcieren.

Sie argumentieren auch arbeitsmarktpolitisch für den OTB, als eine Art Beschäftigungsprogramm auf dem Weg zur Überwindung der sozialen Spaltung: Wie viel Zeit geben Sie sich für diese Aufgabe?

Als Bremer Bürgermeister die Überwindung der sozialen Spaltung zu versprechen, wäre Traumtänzerei. Die Massenarbeitslosigkeit, die sich über 30 Jahre im Lande aufgebaut und verfestigt hat – das wischt man nicht in drei Monaten vom Tisch, und auch nicht in drei Jahren.

Wir müssen uns also damit abfinden?

Nein, sicher nicht. Mir geht es darum, dass wir in der sich insgesamt verbessernden Arbeitsmarktlage Maßnahmen ergreifen, die denen zugutekommen, die geradezu eingemauert sind in ihrer jahrelangen Arbeitslosigkeit. Diesen Prozess der Spaltung müssen wir stoppen, und ich wäre froh, wenn es uns gelingt, ihn umzukehren. In Kürze lösen lässt sich das Problem nicht.

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