Hybrid sein statt assimilieren: "Die Leute wollen teilnehmen"

Assimilation ist keine Einbahnstraße, sagt der Theoretiker Homi K. Bhabha. Um die Auswirkung des britischen Kolonalismus zu überwinden, brauche es Zeit - und die Anstrengung aller.

Selbst die Queen geht auf die Sikh zu. Zumindest beim Staatsakt. Bild: dpa

Den Anfang machte der amerikanische Historiker Tony Judt, der glaubt, dass der Begriff der Diaspora ein Erfolgsmodell bezeichnen kann, wie etwa das Beispiel der südasiatischen Diaspora in Großbritannien zeigt. Der Politologe Benedict Anderson beschrieb, wie sich in der Diaspora oft ein besonders rigider Nationalismus entwickeln könne. Der Rundfunkmoderator Birand Bingül forderte die Deutschtürken zur Entwicklung einer Doppelstrategie auf. Der Mehrheitsgesellschaft gegenüber sollten sie offensiver auftreten, sich stärker für das Wahlrecht einsetzen, sich aber trotzdem von Lebenslügen trennen.

Homi K. Bhabha, ihr vierter Gast, ist einer der wichtigsten Theoretiker des postkolonialen Denkens. Geboren 1949 im damaligen Bombay, studierte er dort und in Oxford. Seine Forschungen fragen nach den Entstehungsbedingungen kultureller Zusammenhänge, wenn Kategorien wie Volk, Raum und Ethnie keine zureichende Begründung mehr liefern können. Sein Hauptwerk ist "Die Verortung der Kultur". Heute ist er Professor für englische und amerikanische Literatur an der Universität von Harvard.

taz: Herr Bhabha, Sie gelten als Vordenker der kulturellen Hybridität. Ist es ein Erfolg für Sie, dass das überwiegend englische Publikum bei einer Podiumsdiskussion mit Ihnen, Stuart Hall und Salman Rushdie vehement sein Englischsein bestritt und auf seiner kulturellen Vermischung bestand?

Homi Bhabha: Es ist ein großer Erfolg, wenn man es vom Alltagsleben, von der Alltagskultur aus betrachtet. In vielen Ländern Europas einschließlich England findet man im täglichen Leben einen hohen Grad an Austausch und Zirkulation von unterschiedlichen Kulturen, die an einer gemeinsamen öffentlichen Sphäre teilnehmen. Zur gleichen Zeit haben wir jedoch einen anderen Geist, den diese Art der Hybridisierung verängstigt. Er versucht, diese kontinuierlich einzuschränken. Er tut dies in regionalen, in nationalen oder im schlimmsten Fall in rassistischen Kategorien. Und wir müssen inmitten dieses Widerspruchs, dieses Konflikts leben. Wenn Sie also von einem Erfolg reden, dann muss man beide Seiten in Betracht ziehen.

Trifft dies nur auf entwickelte Länder zu?

In Indien etwa gibt es dieselbe Auseinandersetzung. Auf der einen Seite haben wir eine Liberalisierung des indischen Markts. Viele Menschen kommen aus der ganzen Welt, um Geschäfte in Indien zu machen, um sich in Indien niederzulassen. Hewlett Packard hat einen ganzen Forschungs- und Entwicklungszweig in Indien etabliert. Es gibt eine sehr hybridisierte Kultur mit allem, was dazugehört - Weltmusik, Klubs, internationale Küche. Gleichzeitig gibt es regionalistische und hindufundamentalistische Parteien. Wir leben in einer seltsamen Periode des Übergangs, in einem anhaltenden Konflikt zwischen Kräften der Hybridisierung und Kräften der Homogenisierung.

Beschreibt Ihr Konzept der Hybridität die Identität von Minoritäten, oder beschreibt es die Funktionsweise moderner Gesellschaften?

Es beschreibt sicherlich beides, insofern die moderne Gesellschaft eine Gesellschaft ist, die durch die Erfahrungen der Minoritäten tief gehend beeinflusst und erschüttert wurde. Wir denken bei Minoritäten an Migranten oder an Flüchtlinge, die kamen, um sich innerhalb westlicher Länder niederzulassen. Aber es gibt eine andere Art der Minoritäten. In der Periode des Empires, die auch die Periode des Aufkommens der Moderne war, wurden in manchen Ländern die Begriffe der Nation, der nationalen Kultur, der Individualrechte, der Staatsbürgerschaft formuliert. Das war genau dieselbe Zeit, als genau dieselben Länder sich in Asien, in Afrika, in Südasien in der Etablierung von Kolonien verstrickten. An einem Ort brachten sie Staatsbürger hervor, und an einem anderen Ort koloniale Subjekte. Wenn wir also von Minoritäten sprechen, müssen wir an diese Doppelnatur, diese doppelte Identität der Moderne denken. Das Thema der Minorität und das Thema der Moderne gehen Hand in Hand.

Wir hören hierzulande immer wieder die politische Forderung nach Assimilation der Migranten. Zeigt nicht Ihr Begriff der Mimikry - die Anpassung stellt nicht ganz gleiche, sondern nur ähnliche Subjekte her -, dass Assimilierung zu einem Bumerang werden und sich in Subversion verwandeln kann?

Ja natürlich! Wenn zwei verschiedene Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt erfolgreich zusammenleben wollen, dann wird es immer Aneignung und Entfremdung gleichzeitig geben. Denn man kann den Leuten nicht formale Rechte geben, ohne dass diese Leute, die von anderswo herkommen und sich diesem Land nun zugehörig fühlen, die ihre Steuern zahlen, die Ärzte oder Lehrer sind, diese Kultur auch gestalten wollen. Assimilierung ist keine Einbahnstraße. Es ist eine mehrspurige Autobahn.

die noch dazu in verschiedene Richtungen führt.

Ja, und das macht es nicht einfach. Es macht es kompliziert. Die Leute denken, dass der politische Zugang ausreichend sei. Aber die politische Sprache ist eine sehr spezifische. Sie ist sehr stark ausgerichtet auf das Funktionieren des Staates und der Regierung, aber der politische Diskurs hat den wichtigsten Bereich der Assimilation nicht erreicht. Er beschäftigt sich nicht mit dem komplizierten Sachverhalt, wie Kulturen einander übersetzen und einander verändern, er beschäftigt sich nicht mit der emotionalen und affektiven Reaktion der Leute auf die Migration. Die Leute fühlen sich geschreckt, die Leute fühlen sich gedemütigt. Und all diese politischen Emotionen - denn es sind politische Emotionen - sind sehr selten Teil des politischen Diskurses.

In Ihrem Konzept erscheint Diaspora meist als Widerstand. Benedict Anderson hingegen hat im Rahmen dieser Reihe den spezifischen Long-Distance-Nationalismus der Diaspora betont. Ist dieser nicht eine Abwehr der Hybridität seitens der Diaspora?

Mein Begriff des Widerstands beginnt bei der reinen Verwendung, denn Leute wollen nicht nur verwendet werden, sie wollen auch teilnehmen. Die andere Seite des Widerstands ist Teilnahme. Aber sobald sie das versuchen, hören sie sofort: Geht dorthin zurück, wo ihr hergekommen seid. Was meinen Sie genau mit Long-Distance-Nationalismus?

Dass Leute, die in der Diaspora leben, oft viel nationalistischer sind als die Leute in den Heimatländern. Die Diaspora-Situation befördert nicht nur eine hybride Identität, sondern auch deren genaues Gegenteil.

Das stimmt. Aber wir müssen hier zwei Aspekte unterscheiden. Zunächst einmal einen positiven: Sie haben einen Teil ihrer Familie in Indien oder anderswo, und selbst wenn sie zweite oder sogar dritte Generation sind, haben sie Bindungen, kulturelle Bindungen, Erinnerungen - der Bezug zum Herkunftsland ist ein Bezug durch die Erinnerung, selbst wenn es das Land ihrer Eltern ist, selbst wenn sie es nicht selbst erlebt haben. Damit ist man Teil eines neuen Weltbürgertums.

Aber es gibt Zeiten, wo dieses neue Weltbürgertum sich zu einem neuen Nationalismus verhärten kann. Dafür kann es viele Gründe geben. Einer der Gründe mag sein: Je weniger man sich dem Land, in das man emigriert ist, zugehörig fühlt, desto mehr versucht man, aus der Distanz, aus der langen Distanz, sich selbst eine Identität zu geben, die auf das Land der Herkunft fokussiert ist. Es handelt sich also oft um eine Kompensation des Gefühls der Entfremdung, der Nichtzugehörigkeit zu dem Land ihrer Migration. Das ist nicht einfach ein Long-Distance-Nationalismus. Das ist nur der Name für einen sehr komplexen Prozess einer gespaltenen Zugehörigkeit. Wenn man eine Spaltung in der Zugehörigkeit hat, bedeutet das eine Unsicherheit. Das kann zu einer obsessiven Bindung an eine Seite der Spaltung führen.

Haben die Ereignisse von 9/11 die Theorie der Hybridität erschüttert

Es gab damals viele Angriffe auf den Postkolonialismus - etwa seitens der Vertreter eines Kampfs der Kulturen. In meiner Sicht stellt aber 9/11 eine Gelegenheit dar, mehr über kulturelle Übersetzung und kulturelle Hybridisierung nachzudenken. Alle Leute, die in 9/11 verstrickt waren, ob als Täter oder als Unterstützer, waren an eine Reihe von kulturellen Überzeugungen gebunden. Manche von ihnen waren sehr religiös in einem traditionellen Sinn, gleichzeitig waren sie sehr erfahren in moderner Technologie und einer modernen Denkweise. Viele von ihnen haben lange in westlichen Gesellschaften gelebt oder wurden hier geboren und ausgebildet. Kulturelle Hybridisierung, egal welchen Grades, ist also Teil der Kultur der Welt. Die Herausforderung ist nun, darüber nachzudenken, unter welchen Umständen die Kombination kultureller Perspektiven kreativ oder aber destruktiv macht. Das ist die wahre Frage.

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