Hotel-Experiment im Theater: Dystopische Nachtruhe

Das Ballhaus Ost treibt ab heute mit dem „Hotel Berlin“ die Airbnbisierung der Stadt auf die Spitze. Und vermietet Betten in künstlerischem Ambiente.

Kategorie III: Kraft des Kollektivs. Das Saalbett gibt es schon für 13 Euro pro Nacht Foto: Nora Jentzsch / Hendrik Scheel

Kunst ist, aus der Not eine Tugend zu machen. Tina Pfurr, künstlerische Koleiterin des Ballhaus Ost, kann es schon nicht mehr hören, wenn Besucher des Ballhauses den „morbiden Charme“ des einstigen Feiersaals einer freikirchlichen Gemeinde loben und sich in diesem „Ambiente“ begeistert das nächste große Familienfest oder die nächste wichtige Unternehmensfeier vorstellen. Klar, das Ballhaus ist in all seiner Unsaniertheit im oberflächlich aufgewerteten und innerlich bourgeoisierten Kiez in der Pappelallee eine prächtige Startrampe für eine Zeitreise ins wildere Berlin.

Zum 10-jährigen Jubiläum der Theaterspielstätte erliegen Pfurr und ihr Intendantenpartner Daniel Schrader nun der Versuchung und vermarkten mal selbst den „morbiden Charme“ ihres Objekts. Sie richten vom 7. bis 18. September das Schlafportal Hotel Berlin ein und werben mit dem Flair des authentischen Kunstorts. Berlinbesucher können jetzt leibhaftig erfahren, was Berlin damals in den 90er Jahren so attraktiv gemacht hat: Das Leben mit und in der Kunst.

75 Schlafplätze gibt es. Man kann direkt im Bühnenbild übernachten. Kojen sind in den Rundbögen des Theatercafés eingerichtet, Stockbetten auf der Probebühne aufgebaut. Auch in den Büros und den Künstlergarderoben befinden sich Betten. Eine als Artist in Residence im Haus lebende Künstlerin teilt ihr Atelier. Und sogar bei einer Architektin, die das integrierte Wohnen im Theaterbetrieb als Modellprojekt untersucht, kann man unterkommen.

Das klingt nach großem Abenteuer. Hintergrund des Projekts ist aber auch eine Reflexion darüber, wie sich seit Ballhaus-Gründung die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Berlin direkt durch die Kunst verändert haben und wie sie auf die Künstler zurückwirken.

Ballhaus Ost, Pappelallee 15, 7.–18. September, Zimmerpreise: 8–15 €, Infos: www.ballhausost.de

„Künstler tragen ja zur Aufwertung von Kiezen und einzelnen Häusern bei. Als gegenüber vom Ballhaus neue Wohnungen errichtet wurden, wurde auf das Ballhaus als attraktives Element regelrecht hingewiesen. Wenn diese Aufwertungen aber kapitalisiert werden, haben die Künstler sehr selten etwas davon. Sie können sich die neuen Räume zu den neuen Mieten eher nicht leisten und müssen woanders hin“, meint Schrader.

In den vergangenen zehn Jahren hat er einen kompletten Austausch der Bevölkerung im Kiez ringsum erlebt und beobachtet, wie die Pappelallee zum Laufsteg von Konzeptläden wurde. „Die halten sich aber nicht lang, selten erreichen sie ein, zwei Jahre. Dann müssen sie dichtmachen und jemand anderes probiert eine neue Geschäftsidee aus, dann aber meist bei erhöhten Mieten. Durchgesetzt hat sich eigentlich nur die Creperie; das ist noch etwas, was die Leute brauchen.“

Das Schlafportal antizipiert diese Entwicklung nun für das Theater. Im Rahmen des Projekts hat Schrader sein Büro geräumt und ist mitsamt Frau, Kindern und Hunden nach Berlin-Hellersdorf gezogen. Von dort aus ist er abends per Skype ins Ballhaus zugeschaltet und gibt einen Einblick ins Theaterprobengeschäft.

Daniel Schrader gibt aus Hellersdorf per Skype Einblick in den Probenalltag

Hotelmanagerin vor Ort ist Tina Pfurr. Sie empfängt die Gäste der Kategorie 1 – es gibt gestaffelt nach Preis und Komfort drei Kategorien – und organisiert die Themenführungen durchs Haus. Die betreffen unter anderem die Vorgeschichte des Hauses als freikirchliche Gemeinde mit Festsaal, angrenzendem Friedhof und ganz oben Ledigenwohnheim für Kriegsversehrte des Ersten Weltkriegs.

„Wir haben im vierten Stock noch die Originalaufteilung der Zimmer des Ledigenwohnheims gefunden“, erzählt Pfurr und weist auf die überraschend groß wirkenden 8-qm-Einheiten, die als Künstlerzimmer zu buchen sind und die Namen der Ballhaus-Mitgründerin Anne Tismer, des Kollektivs Signa und des ebenfalls oft im Ballhaus aufgetretenen Regisseurs Dirk Cieslak tragen.

Eine zweite Tour erkundet die mythische Gründungsgeschichte der Theaterinstitution Ballhaus Ost, als an einem Tresen ganz in der Nähe der neu nach Berlin gekommene Bochumer Regisseur Philipp Reuter mit seinem alten Kumpel Uwe Moritz Eichler über eine Theaterneugründung nachdachte und auch noch der damalige, von Institutsflucht-Gedanken angetriebene Schaubühnenstar Anne Tismer hinzukam.

„Sie haben das Haus bei einem ‚Tag des offenen Denkmals‘ entdeckt und bekamen vom Vermieter drei Tage lang den Schlüssel, um es sich einmal richtig ansehen zu können“, blickt Pfurr auf die alten Zeiten zurück.

Die dritte Tour besteht aus dem, was Pfurr immer erzählt, wenn sich Künstler für das Ballhaus interessieren und Probenbedingungen, Auftrittsmöglichkeiten und Imagegewinne durch einen Ballhaus-Gig erkunden.

Erschreckt haben Pfurr und Schrader festgestellt, welche Resonanz ihr Projekt auslöste. „Die Architektin hat gleich begonnen, noch zwei zusätzliche Geschosse zu planen, damit sich so ein Konzept auch rechnet“, meint Schrader. „Und erstmals finden unsere Eltern auch gut, was wir machen. Ein Hotel im Theater scheint für sie mal etwas richtig Solides zu sein“, erzählt Pfurr. Bleibt bloß zu hoffen, dass es Pfurr und Schrader nicht wie dem Zauberlehrling bei Goethe ergeht und die Schläfer nicht mehr weichen.

Dieser Text erscheint im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Printausgabe der taz

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