Homosexuellen-Hochburg Nizza: So viele Farben Blau

Auf queeren Pfaden durch die Stadt, die der Jetset liebt und der Tourismus längst erobert hat. Ein Gayfriendly-Qualitätssiegel steht für Offenheit.

männer mit kostümen

Beim Queerkarneval in Nizza, schwul-lesbischer Karnevalsumzug. Foto: Imago/Ecomedia/Robert Fishman

Königin Victoria und Elton John, so viele „Queens“ auf einmal können eigentlich nicht irren, wenn es um die Frage geht, wo man am besten den europäischen Winter übersteht: In Nizza natürlich, an der Cote d’Azur, in Südfrankreich.

Queen Victoria residierte hier dereinst im Hotel Excelsior Régina, das wie einige andere Belle-Epoque-Prachtkästen die Zeiten nur überdauern konnte, weil sie nach dem Ersten Weltkrieg in (heute schon wieder kaum bezahlbare) Wohnungen umgewandelt wurden. Und Sir Elton John harrt – noch immer quicklebendig – auf dem Hügel oberhalb des Hafens von Nizza aus. Seine Villa kann man gut erkennen, sie liegt gleich rechts neben einem riesigen Telekommunikationsmast.

Nizza, die 350.000-Einwohner-Stadt an der Mittelmeerküste, zwischen Monaco und Cannes gelegen, lockt noch immer, was in der Welt des Jetset Rang und Namen hat. Aber auch Billigflieger landen regelmäßig bei Terminal 2 des Flughafens, unter anderem, um Nizzas größte Touristengruppe seit dem Victorian Age heranzukarren: Engländer. Es kommen aber auch (wieder) Russen, Deutsche und im Sommer kommt selbstverständlich ganz Frankreich.

Ort des queeren Filmfestivals „In & Out“

Unterkunft: Zentral gelegen an der Avenue Jean Médecin ist zum Beispiel das Hôtel Mercure, Nice Centre (Vier Sterne, Pool auf dem Dach), 28 Avenue Notre Dame. Der Klassiker ist und bleibt natürlich das Negresco, 37 Promenade des Anglais – Belle-Epoque-Kasten in Familienbesitz

Essen und Trinken: Von drei Freundinnen aus regionalem Gemüse hergestellte Köstlichkeiten bei A Buteghinn’a, 11 rue du Marché (www.abuteghinna.fr)

Ausgehen: Le Bar Bitch & Butch, 2 rue Rossetti (Concept-Bar mitten in der Altstadt); Malabar Station, 10 rue Bonaparte (Cruising-Bar inmitten des Petit Marais, Nähe Place Garibaldi)

Sauna: Les Bains Douches, 7 rue Gubernatis. Hinter dem leicht zu übersehenden Eingang großzügige Sauna auf drei Etagen

Cruising: Coco Beach (Public Beach), 2 Avenue Jean Lorrain

Diese Reise wurde unterstützt von Nice Tourisme et Congrès

Und da ist noch eine Gruppe, die sich von dem vielen Licht und dem unendlichen Blau des Himmels und des Meeres angezogen fühlt: Schwule. Brigitte Bardot, die böse alte Frau aus dem nur eine Stunde entfernten St. Tropez, hat völlig Recht, wenn sie sagt, dass die Cote d’Azur völlig überschwemmt sei von Homosexuellen.

Auch „Ein Käfig voller Narren“, der französisch-italienische Kultfilm aus dem Jahr 1978, spielt in St. Tropez und nicht in Nizza, er war der erste weltweit erfolgreiche Film aus dem Drag-Queen-Milieu – doch die zweitgrößte homosexuelle Community Frankreichs nach Paris findet man heute in Nizza. Seit 2009 ist die Stadt nun auch Teilstandort des queeren Filmfestivals, dem „In & Out“-Festival, das jährlich Ende April, Anfang Mai stattfindet. Ein optimaler Zeitpunkt, um nach Nizza zu reisen: Der Frühling ist schon angekommen – und die Familien sind längst wieder zu Hause vom Osterurlaub.

„A Natural Iridescence“ ist ein Reiseangebot für Regenbogen-Menschen

Die Stadt Nizza ist sich dieser besonderen Zielgruppe bewusst und hat das Programm „A Natural Iridescence“ aufgelegt, ein spezielles Reiseangebot für Regenbogen-Menschen. In Zusammenarbeit mit der örtlichen LGBTI-Organisation hat das Tourismusbüro ein „Gayfriendly“-Qualitätssiegel entworfen, interessierte touristische Institutionen müssen eine entsprechende Schulung absolvieren.

Während es die jüngere Gay-Crowd kaum erwarten kann, sich im nahenden Sommer an die Strände von Tel Aviv oder Sitges zu legen und nachts in den Clubs durchzutanzen, ist die den schönen Künsten, dem guten Essen und dem guten Geschmack geweihte Stadt im Süden Frankreichs eher ein Sehnsuchtsort für Ältere mit besser ausgestattetem Bankkonto.

Eher für eine betuchte Klientel

Man muss es sich leisten können, im Maison Auer einkaufen zu gehen. Das Süßwarengeschäft, in dem schon Queen Victoria Kundin war, liegt direkt gegenüber der Oper. Les Fruits Confits, 450 Gramm: 31.50 Euro. Allerdings sind die Zuckermandarinen von Auer wirklich einen Mord wert.

Nun ist Frankreich zwar bekannt für seine kulinarischen Raffinessen, doch Nizza hat darüber hinaus das Zeug dazu, ein Hotspot für Vegetarier zu werden. Nicht das Fleisch ist hier heilig und auch nicht der Fisch, obwohl die Stadt am Meer liegt.

Das Gemüse steht in der traditionellen Küche Nizzas im Vordergrund, und wer auf Nummer sicher gehen will, vertraut auf das lokale Label „Cuisine Nissarde“, das zwar kein Biolabel ist aber doch ein Ausweis dafür, dass lokale, saisonale Zutaten verwendet werden.

So wie im „A Buteghinn’a“, einem kleinen, feinen Restaurant, das von drei Freundinnen betrieben wird und nur tagsüber geöffnet ist. Ob Zwiebelkuchen mit Anchovis, Kichererbsen-Pommes mit scharfer Paprikasoße oder würziger Auberginenpaste, die drei Frauen präsentieren hier jeden Tag, was die Gärten Südfrankreichs hergeben.

Die Schwulenszene bietet alles

Bewegt man sich entlang der queeren Pfade, hat man ohnehin eine gute Chance auf Erfahrungen jenseits des Massentourismus. So empfiehlt sich ein Bummel in der Rue Bonaparte, die vom Place Garibaldi abgeht, dem heimlich wichtigsten, wenn auch nicht größten Platz der Stadt, unweit des kleinen Hafens gelegen. Hier befindet sich das Viertel Petit-Marais, der kleinere Bruder des Pariser Marais.

Ehemals „Schmuddelecke“, wird das Schwulenviertel derzeit angentrifiziert und zieht Nachtschwärmer aller Art an. Doch die Schwulenszene Nizzas bietet noch immer alles, was sich gehört, inklusive Bars mit Cruising-Bereich (etwa das Malabar Station, 10 rue Bonaparte) und Saunen (die größte Nizzas und der Cote d’Azur ist Les Bains Douches, 7 rue Gubernatis). Auch außerhalb des Petit Marais finden sich jede Menge queere Restaurants, Cafés und Bars – sogar in der sehr touristischen aber trotzdem sehenswerten Altstadt von Nizza.

Am Place Rosetti zum Beispiel hat man den besten Blick auf die Cathédrale Sainte-Réperate, der Schutzheiligen von Nizza, von einer queeren Bar aus, der Bar Bitch & Butch. Gleich nebenan: Nizzas beste Eisdiele Fenocchio, in der man daran erinnert wird, das Nizza einst italienisch war. Erst seit 1859 gehört die Stadt endgültig zu Frankreich – wenngleich Spötter behaupten, dass die Stadt eigentlich zu Großbritanien gehöre. Ein bisschen ist es so wie mit dem Witz, dass Mallorca eigentlich ein Bundesland von Deutschland ist.

Auch die Geschichte einiger Deutscher ist mit Nizza verbunden, speziell solchen, die Nazideutschland verlassen mussten und an der Promenade des Anglais auf bessere Zeiten warteten: Heinrich Mann, Hermann Kesten und (der Österreicher) Joseph Roth wohnten sogar im selben Haus, in der Nummer 121. Im Jahr 1940 mussten sie Frankreich wieder verlassen. Der Journalist Theodor Wolff schaffte es nicht rechtzeitig, seine Ausreise zu organisieren. Er wurde 1943 im Haus Nummer 63, Promenade des Anglais, von der Gestapo verhaftet.

Zu Ehren von Magnus Hirschfeld

Eines „natürlichen“ Todes starb hier Magnus Hirschfeld, der Sexualforscher und Mitbegründer der ersten Homosexuellenbewegung. Hirschfeld war Jude, schwul und Kommunist – nachdem er in Deutschland nicht mehr sicher war, beschloss er, von einer Vortragsreihe im Jahr 1932 nicht mehr zurückzukehren.

Sein Institut in Berlin wurde 1933 zerstört und nur wenig später starb Hirschfeld in Nizza, wo er auch begraben liegt. Und zwar auf dem Cimetière de Caucade, dem russischen Friedhof. Unweit des Flughafens gelegen erreicht man die Gräberfelder am besten mit dem Bus Nr. 8, Haltestelle Caucade/Place Sainte-Marguerite. Das Grab ist in der Reihe Nr. 9, rechts ab von der Avenue des Floristes.

Der Besuch dieses Grabes ist eigentlich ein Muss für Homosexuelle. Steht doch auf seinem Grabstein geschrieben: „per scientiam ad iustitiam“, durch Wissenschaft zu Gerechtigkeit. Wer mag, kann auch eine frische Blume mitbringen, womöglich von dem Blumenmarkt in der Altstadt. Oder einen Stein ablegen, wie in der jüdischen Kultur üblich.

Denn dass es Städte wie Nizza gibt, in denen sich Homosexuelle so frei und selbstbewusst bewegen können, ist auch ihm zu verdanken.

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